Das Bild zeigt Matthias Berg

„Akteure ihres Lebens“

Bereits zum dritten Mal schrieb die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) einen Fotowettbewerb aus. Wir haben mit einem der aktuellen Preisträger gesprochen.

 

Wie sind Sie das Thema „Mensch-Arbeit-Handicap“ angegangen, was war Ihr Konzept?

Mein Grundkonzept war, dass ich reale Situationen am Arbeitsplatz einfangen wollte. Nach ersten Ideen dazu habe ich versucht, Menschen mit Handicap als aktive Gestalterinnen und Gestalter in ihrem Arbeitsleben und Arbeitsumfeld zu zeigen. Menschen, die in Verantwortung für sich und ihr Tun stehen.

 

Daher der Name „Akteure ihres Lebens“…

Das Schöne an den prämierten Bildern ist das Authentische. Dass sie zeigen, womit Menschen konfrontiert sind, die ein Handicap haben. Und: es sind eben Fotos, die ohne Marketing-Hintergrund, ohne einen Auftrag mit Vorgaben entstanden sind. Daher wirken sie aus sich heraus. Das war mir wichtig.

 

Wer macht bei diesen Wettbewerben mit?

Die Ausschreibung richtet sich gezielt an professionelle Fotografinnen und Fotografen. Man findet den Aufruf zum Wettbewerb daher in Fachzeitschriften, aber auch in Magazinen wie „Chrismon“. Wie viele am Ende mitgemacht haben, weiß ich gar nicht. Aber es gab 14 Preisträger und Preisträgerinnen sowie einen Sonderpreis.

 

Hatten Sie wirklich völlige künstlerische Freiheit?

Ja, das kann man so sagen und das macht auch den Reiz aus. Man geht dann nämlich anders heran als an eine Auftragsarbeit. Die Berufsgenossenschaft hat für die Bildsprache keine Vorgaben gemacht. Also konnte jeder und jede mit der eigenen Herangehensweise und Handschrift arbeiten. Diese Autarkie ist das Entscheidende für meine Arbeit gewesen. Denn so hat sich eine eigene Dynamik beim Fotografieren entwickelt.

 

Wie haben Sie die Menschen gefunden, die Sie fotografiert haben?

Der Bereich Arbeit und Handicap war mir nicht neu. Mit dem Thema Arbeit setzte ich mich seit meiner Studentenzeit an der Folkwang Schule in Essen in unterschiedlichen fotografischen Projekten auseinander. Ich habe auch selbst in meinem linken Arm bzw. meiner linken Hand ein Handicap, welches ich in meine berufliche Tätigkeit integriere. Außerdem habe ich schon länger, auch von Berufswegen, in unterschiedlichen Produktionen und durch verschiedene Auftraggeber mit dem Thema Behinderung zu tun.

So etwa durch Fotoarbeiten, für die mich die Diakonie Michaelshoven in Köln beauftragte. Oder für Karen Schaller, die seit ihrer Erkrankung an Multiple Sklerose im Rollstuhl sitzt. Sie hatte mich mit Porträts für ihre Webseiten und Pressearbeit beauftragt. Als Mentorin für den Hildegardis-Verein unterstützt sie Berufsanfängerinnen und -anfänger beim Start ins Berufsleben. Für die „Aktion Mensch“ ist sie zudem eine wichtige Ansprechpartnerin und Mutmacherin im Wirken nach Außen, gerade für die Themen Arbeit und Handicap. Durch meine Anfragen für den Wettbewerb ergaben sich dann schnell weitere Kontakte.

 

Sie haben also Ihr Netzwerk genutzt, um Motive und Menschen zu finden?

Ich habe es versucht. Wie ich jedoch schnell feststellte, waren Menschen mit Behinderung in Unternehmen wegen Corona für mich nicht erreichbar. Ich kam nicht an den eigentlichen Arbeitsplatz, um den es ja gehen sollte. Aus Zeitmangel hat sich meine Anfrage beim Contergan-Verband Köln, der sich sehr interessiert und offen dem Thema gegenüber gezeigt hat, leider nicht weiter konkretisiert.

 

Gibt es Herausforderungen beim Fotografieren von Menschen mit Handicap?

Es braucht eine Vertrauensbasis, denn am Anfang steht oft Skepsis, die bei jedem Einzelnen mit persönlichen Einstellungen und Erfahrungen zu tun haben. Außerdem ist die Fotoaktion mit Aufwand verbunden. Teilweise habe ich mit meinen Akteurinnen vier Stunden lang fotografiert. Bei dem Shooting mit Nina Odenius, die als Journalistin für das Domradio tätig ist, konnte ich ich als erfahrener Fotograf im Umgang mit meiner Protagonistin Neuland betreten. Denn als Sehbehinderte kann sie Fotos nicht wahrnehmen. Während der Aufnahmen konnten wir glücklicherweise trotzdem ein gemeinsames Verständnis für die Zielsetzung entwickeln.

Sowieso, am Anfang steht das Kennenlernen, Beschreibungen und Erklärungen der Vorgehensweise und der Intention des Projekts: Worum geht es bei dem Foto? Was soll es zeigen - ohne voyeuristisch zu sein? Was bringt es den Fotografierten, wer wird es am Ende sehen? Die Porträtierten und ich als Fotograf müssen sich auf diesen Prozess einlassen. Nur so kann es funktionieren.

 

Sie haben auch Matthias Berg fotografiert, der eine Conterganschädigung hat. Was war hier das Besondere beim Fotografieren?

Das Spannende bei Matthias Berg ist die Frage, wie man seine vielen Tätigkeiten überhaupt abbildet. Er hat schon so viel in seinem Leben gemacht - auch heute noch. Zuerst hatten wir geplant, ihn mit seinen Studierenden zu zeigen. Die Veranstaltung ist dann leider ausgefallen.

Aber Matthias Berg berät und coacht auch große Unternehmen in Sachen Inklusion. Also haben wir beschlossen, das einzufangen. Aber auch hier das Problem mit Corona: Der Vortrag fand am Ende online statt. Also baute ich mein Licht und meine Kamera schließlich in seinem Arbeitszimmer in Stuttgart auf. Das Foto aus diesem Termin gehört zu den prämierten.

 

Wie entsteht das Bild, seine Aussage, vielleicht die Kunst…das müssen Sie näher erläutern.

Sie sind als Fotograf – zumindest verstehe ich mich bei diesem Projekt so – eine Art teilnehmender Beobachter. Sie sind da, aber müssen auch unsichtbar sein. Jemand wie Matthias Berg weiß sich zu inszenieren. Den Moment, wo er wirklich die Kamera vergisst, den müssen Sie treffen.

Es ist natürlich eine andere Sache, wenn sie eine Person mit Behinderung fotografieren, die bei ihrer Tätigkeit gar nicht in der Öffentlichkeit steht und sich entsprechend anders verhält. Oft hilft der Zufall, manchmal muss man eine Art Regieanweisung geben.

Bei Matthias Berg gab es einen Moment, als er von einer Begegnung im Bus berichtete, bei der er einen verunsicherten Mann einfach anlächelte und dieser entspannt zurücklächelte. Genau darum geht es – auch im übertragenen Sinne beim Thema Inklusion. Den anderen sehen und annehmen, wie er ist. Das sollte auch in den Fotos zu sehen sein.

 

Wie entscheiden Sie: Das ist das beste Bild, das reiche ich ein?

Ich treffe eine Vorauswahl, die ich immer begründen kann. Ich lege fest, was ich in einem Foto sehen will, ob ich es tatsächlich darin sehe und warum das so ist. Und dann beziehe ich die Probanden mit ein. Ganz selten ist man völlig unterschiedlicher Meinung. Am Ende waren es dann fünf Fotos, die für „Akteure ihres Lebens“ in Frage kamen.

 

Welche Öffentlichkeit erreicht der Wettbewerb?

Neben der üblichen Berichterstattung gibt es die Wanderausstellung. Die Leute von BGW haben sich genau überlegt, wohin gehen wir mit den Bildern? Sie haben sich ganz bewusst für öffentliche Plätze entschieden. Dorthin, wo Menschen sind, wo man vorbeikommt und stehen bleibt. Aber am Ende kann man es nicht wirklich steuern, ob und wie es in der Bevölkerung angenommen wird. Man kann sich auch vor den Kölner Dom stellen und die Leute gehen trotzdem vorbei.

 

Aber hier war dieses Hinausgehen eine gute Idee….

Definitiv, ja. So ist dieser Wettbewerb sogar innerhalb von drei, vier Jahren zu einer Marke geworden. Die Wanderausstellung wird sehr gut besucht. Immer wieder fragen Städte nach, ob sie die Ausstellung auch bei sich präsentieren können. Etwa die Stadt Bonn mit dem Münsterplatz oder der Europaplatz in Köln-Deutz.

 

Der neue Wettbewerb unter dem Motto „Mensch-Arbeit-Zukunft“ ist schon angekündigt. Werden Sie wieder mitmachen?

Ich kann es mir gut vorstellen. Warum nicht?

 

Die weiteren Fotos von Kurt Steinhausen aus dem Wettbewerb finden Sie hier.

Zu der Website des BGW, zu weiteren Infos zum Wettbewerb, den Ausstellungen und den preisgekrönten Beiträgen geht es hier lang.

 

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