Dieses Bild zeigt Veronika Walther

„Ich wünsche mir mehr Offenheit gegenüber allen Menschen, die nicht der Norm entsprechen“

Veronika Walther kam 1962 in Hameln mit einer Conterganschädigung auf die Welt und lebt heute in München. Sie hat drei erwachsene Kinder und blickt auf eine vielseitige berufliche Laufbahn zurück. Nach dem Studium der Theologie war sie Pfarrerin, arbeitete als Supervisorin und systemische Familientherapeutin. In ihrer Freizeit ist Veronika Walther leidenschaftliche Gärtnerin und reist gern. Besonders das westliche Amerika hat es ihr angetan: Bei einer Reise mit ihrem Sohn von Vancouver nach Los Angeles durchquerte sie zahlreiche Nationalparks. Die Heldin ihres Kriminalromans „Mit Hand und Fuß dem Mörder auf der Spur“, der bei Books on Demand veröffentlicht wurde, ist Maeggan, eine junge Frau mit Conterganschädigung.

Sie waren viele Jahre berufstätig und sind Mutter von drei Kindern. Wann und warum haben Sie mit dem Schreiben begonnen?

Seit einigen Jahren bin ich frühpensioniert und seitdem immer wieder auf der Suche nach neuen Beschäftigungen. Als ich Freunden erzählte, wie merkwürdig manche Menschen auf meine kurzen Arme reagieren, kam mir die Idee, darüber ein Buch zu schreiben. Auch stört es mich mittlerweile, dass ich immer wieder die gleichen Dinge erklären muss. Es war mir jedoch wichtig nicht zu sehr autobiografisch zu schreiben, da ich meine Person ungerne in den Vordergrund stellen wollte. Deshalb habe ich einiges, was ich selbst erlebt habe, auf eine andere contergangeschädigte Person übertragen.

Ähnlich wie Maeggan, die Hauptfigur Ihres Romans, haben Sie Ihre Conterganschädigung anscheinend nie als Hindernis betrachtet. Wieviel Autobiografisches steckt sonst noch in der Protagonistin Ihres Romans?

Natürlich ging mir mit meinen kurzen Armen von klein auf nicht alles so einfach und leicht von der Hand, aber ich habe das nicht als Hindernis betrachtet, sondern als Herausforderung. Erst als ich Menschen begegnete, die mich aufgrund meiner Arme auch als Person abwerteten, wurde ich „behindert“.

In beiden Familien, die Maeggan geprägt haben und mit denen sie verbunden ist, stecken autobiografische Elemente. Die Personen und der Handlungsstrang sind fiktiv, aber die Reaktionen auf Maeggans kurze Arme sind real und mir selbst passiert. Auch Maeggans Reaktionen darauf sind selbst erlebt.

Maeggan wird als sehr selbstbewusste junge Frau dargestellt, die sich nicht von ihrer Behinderung aufhalten lässt. Wie ähnlich sind Sie ihr?

Sehr. Um zum Beispiel Maeggans Handlungsabläufe realistisch darstellen zu können, habe ich mich als Vorlage genommen. Dabei sind auch viele von meinen Lebenseinstellungen in Maeggan hineingeflossen. Im Laufe der Erzählung bekommt man aber auch mit, wie schwer es für Maeggan ist, sich ihr Selbstbewusstsein zu erarbeiten.

Sie sagen, es gehe in Ihrem Buch um die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung von Menschen mit Behinderungen. Wie genau meinen Sie das?

Ich selbst sehe mich nicht als Mensch mit Behinderung, sondern ich bin Mutter und Therapeutin und einfach ein Mensch wie jeder andere. Wenn ich jedoch unbekannten Menschen begegne, sehen sie zuerst meine kurzen Arme und das beeinflusst jede weitere Wahrnehmung. In der Regel werde ich entweder für meinen Umgang mit meinen kurzen Armen bewundert oder aber bemitleided. Ein neutraler Umgang ist kaum noch möglich, oder erst wieder nach ausführlichen Gesprächen über meine „Behinderung“.

Meine kurzen Arme sind ein Teil von mir und aufgrund ihrer Kürze sind einige Handlungen für den restlichen Körper belastender. Solche Handlungen lasse ich mir auch gerne abnehmen - aber nicht wegen einer Behinderung oder weil ich etwas nicht kann, sondern eher zur Entlastung meines Rückens.

Die Protagonistin Ihres Krimis ist von einer Conterganschädigung betroffen. Das Buch ist dennoch ein klassischer Krimi, der in England spielt. Es geht um Familientragödien, Erbschaftsstreitigkeiten. Warum haben Sie diese Form der Erzählung gewählt? Was war ihre Motivation?

England habe ich gewählt, um darauf hinzuweisen, dass Contergan nicht nur in Deutschland verkauft wurde. Wieso also “dennoch“? Ich sehe keinen Widerspruch zwischen einer Conterganschädigung und einem Krimi. Wenn das ein Widerspruch ist, ist es das Gegenteil von Inklusion. In den Achtzigern auf einer Demo der Krüppelbewegung fragte ich einmal einen Reporter, warum behinderte Menschen nicht in alltäglichen Filmrollen, in einem Krimi oder so, zu sehen seien. Seine Antwort war damals - mit einem schiefen Grinsen - ob ich in einer Bettszene mitspielen würde und was dann die Leute denken sollen? Darauf fragte ich in nur, was er denken würde, was ich abends mit meinem Freund tun würde, etwa Schachspielen?

Sie möchten also mit Ihrem Buch einen Beitrag zur Diskussion um den Begriff der Inklusion leisten. Könnten Sie das bitte genauer erläutern?

Es gibt viele Biografien von contergangeschädigten Menschen und auch einige Fachbücher über das Thema, aber all das lässt uns in der Nische bleiben, die die Gesellschaft den Menschen mit Behinderung zugewiesen hat. Ein Krimi öffnet genau das. Ich wollte ein Buch schreiben, das man gerne zur Unterhaltung mit in den Urlaub an den Strand nimmt und in dem auf humorvolle Weise offen darüber gesprochen wird, wie schwer es ist als Mensch, der nicht den Normen unserer Gesellschaft entspricht, auf Augenhöhe Anerkennung zu erhalten.

Glauben Sie, dass Ihr Buch einen Beitrag zu einem breiteren Verständnis der einzigartigen Situation von Menschen mit Conterganschädigung leisten kann?

Ich persönlich sehe meine Situation nicht als einzigartig. Einzig und allein sehe ich mit meinen kurzen Armen anders aus als die Mehrheit und ab und zu sind Handlungsabläufe komplizierter oder aufgrund der Folgeschäden für mich kaum noch möglich. Mir geht es nicht nur allein um Menschen mit Conterganschädigung, sondern um mehr Offenheit gegenüber allen Menschen, die nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechen.

Wie sieht Ihr Alltag als Autorin aus? Wie und durch wen erhalten Sie Unterstützung beim Schreiben?

Da mein Leben bisher sehr stark von Ansprüchen von außen geprägt war, mag ich es jetzt zu schreiben, wann immer es mir in den Sinn kommt. Die Grundregeln des Schreibens habe ich mir über Fachbücher und einen Onlinekurs selbst angeeignet. Darüber hinaus genieße ich die einfühlsame Unterstützung von zwei Lektorinnen.

Hat Ihre Arbeit als Schriftstellerin Ihr Leben verändert? Wenn ja: Wie?

Schon immer waren Gartenarbeit und Handwerkliches meine liebsten Freizeitbeschäftigungen. Nach meiner Pensionierung habe ich nun Zeit für all die kreativen Dinge. Leider hindern mich die immer stärker werdenden Folgeschäden daran, einiges davon in der Weise umzusetzen, wie ich es gerne tun würde. Das Schreiben ist zum Glück weiter möglich, auch mit der Unterstützung eines Schreibprogramms.

Werden Sie weiter schreiben? Ist schon ein neues Buch geplant?

Ideen für einen weiteren Band sind da und nehmen auch mittlerweile Formen an. Ich wurde auch bereits gefragt, wie es mit Maeggan weitergeht.

 

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