Das Bild zeigt Freizeitradler Martin Dreßler im Wald mit seinem Fahrrad

„Auf dem Fahrrad sieht man die Welt anders.“

Martin Dreßler ist gerne aktiv. Nicht nur im Interessenverband Körpergeschädigter e.V. Baden. Trotz seiner Conterganschädigung ist er ein leidenschaftlicher Radfahrer und unternimmt zusammen mit seiner Frau gerne größere Touren. Wir haben ihn gefragt, wie er das angeht, woher seine Passion kommt und was das Besondere an seinem Zweirad ist. Mit dem Interview beschließen wir unsere kleine Serie zum Thema Fahrradfahren.

 

Herr Dreßler, wann haben Sie das Radfahren für sich entdeckt?

Ich bin als Kind schon Fahrrad gefahren. Danach gab es eine längere Pause, weil ich es als Erwachsener ein wenig aus den Augen verloren habe. Doch seit etwa 15 Jahren ist es wieder ein fester Teil meines Lebens und eine echte Passion. Wie und wodurch das genau kam, kann ich gar nicht sagen. Es hat auch viel mit meiner Frau zu tun, mit der ich die Passion teile. Vor allem jedoch geht es darum, dass man die Umgebung einfach anders wahrnimmt, wenn man radelt. Man ist anders als im Auto unterwegs, sieht die Welt anders, erlebt die Landschaft aus anderer Perspektive.

 

Wie haben Sie mit Ihrer Conterganschädigung das passende Fahrrad gefunden?

Meine Conterganschädigung betrifft hauptsächlich die Arme. Also musste ich Wege finden, wie ich trotzdem lenken und bremsen kann. Das ist neben der Balance das Wichtigste. In den Siebzigern bin ich meistens mit meinem Bonanza-Rad gefahren, weil das vom Lenker und den Dimensionen her gut passte. Da konnte ich dann mit dem Knie schalten.

 

Bonanza-Räder sind lange passé. Was fahren Sie zurzeit?

Heute habe ich ein selbst umgebautes Sesselrad. Das ist ein bisschen niedriger als ein normales Rad, aber höher als ein Liegefahrrad. Ich kann also mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehen.

 

Sie haben das Rad selbst umgebaut?

Ja, weil die Händler einerseits keine Modelle hatten, die mir zusagten. Hauptsächlich aber, weil sie keine Umbauten mehr vornehmen – aus Zeitmangel und aus Sicherheitsgründen. Gerade an die Lenker gehen die nicht gerne ran. Entweder passt der oder er passt nicht. Also habe ich mir verschiedene Lenker vorführen lassen und bin dann mit einem, der ungefähr gepasst hat, zu einem Sanitärbetrieb gegangen.

 

… zu einem Sanitärbetrieb?

Ja, klingt komisch, aber da musste ich kreativ werden. Der Lenker, den ich ausgewählt hatte, passte wie gesagt nur ungefähr. Die haben ihn dann für meine Zwecke zurechtgebogen. Dazu mussten sie die Stange mit Sand füllen, damit das Metall nicht bricht, wenn es erhitzt wird. Das ist aber in der Tat unüblich – und mein eigenes Risiko. Da haften für die Risiken logischerweise weder die Herstellerfirma noch die Fahrradhändler.

 

Ein Modell, das voll und ganz zu Ihren Bedürfnissen passt, existiert also nicht?

Nein. Es ist sogar so, dass mein jetziges Sesselfahrrad, ein Scooter Bike, das ich für mich umgebaut habe, nicht mehr hergestellt wird. Sesselfahrräder generell sind immer seltener. Ich habe mir daher zur Sicherheit das Modell noch mal gekauft, falls ich noch mal ein neues Rad brauche. Wichtig ist auch, dass ich einen Rücktritt habe, weil ich per Hand nicht so gut bremsen kann. Aber auch die Rücktrittsfunktion verschwindet immer mehr vom Markt.

 

Fahren Sie mit Ihrer Frau denn auch Tandem?

Nein, wir fahren beide mit unseren eigenen Rädern. Wir fahren gerne und viel. Dieses Jahr waren wir zwar nicht so reisefreudig, doch wenn es möglich ist, verbringen wir jeden Urlaub auf dem Rad. Manchmal nehmen wir die Räder auf einem Fahrradträger, der auf der Anhängerkupplung befestigt ist, mit, müssen also nicht zu Hause mit dem Rad starten. Früher waren auch unsere Kinder dabei, heute natürlich nicht mehr.

Wir waren auch schon im Ausland, etwa in Frankreich. Aber in Deutschland gibt es viele tolle Gegenden, schöne Ecken und Strecken zum Radeln. Flüsse eignen sich wunderbar, etwa Rhein und Mosel.

 

Was halten Sie von E-Bikes?

Die sind praktisch! Zunehmend verwenden wir auch E-Bikes auf unseren Touren. Allerdings gibt es das Sesselfahrrad nicht als E-Bike. Daher musste ich auch das entsprechend umbauen lassen. Man ist dann nicht so eingeschränkt, weil man auch weitere Strecken schaffen kann, ohne sich zu überanstrengen. Außerdem kann man auch mal Berge hochfahren. Es schafft mehr Flexibilität.

 

Haben Sie einen Wunsch in Sachen Fahrräder?

Es gibt keine Schrauber mehr. Das ist schade. Sie finden kaum noch Leute, die bereit sind, an den Rädern herumzuschrauben, um individuelle Lösungen zu erarbeiten. Individualisierung heißt heute meistens Anpassung mit Hilfe von Standardteilen. Keiner hat mehr die Zeit oder die Muße zu experimentieren bis es passt. Auch das Können geht verloren, es lohnt sich nicht mehr. Und dann verschwindet ja irgendwann auch die Nachfrage. Die Händler wollen ihre Komplettlösungen verkaufen, die Hersteller liefern sie industriell gefertigt. Also: Schrauber und Tüftler müssen wieder her! [lacht].

 

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Foto: privat