Fahrradumbau

Das Angebot für behindertengerechte Fahrräder wächst

„Im Grunde kann ein Fahrrad allen individuellen Anforderungen genügen.“   

Fahrradfahren erlebt derzeit einen Boom. Industrie und Händler haben zeitweise Probleme, die Nachfrage zu befriedigen. Ob Dreiräder, Tandems oder Fahrrad-Rollstuhl-Kombinationen – Fahrradfahren ist auch für Menschen mit Conterganschädigung machbar. Spezielle Pedale, Lenker oder Sättel, Handkurbeln sowie spezielle Elektronik erlauben es, sich auch mit Handicap per Rad fortzubewegen. Zwar gibt es beim Händler serienmäßige Lösungen, individuelle Umbauten und Anpassungen sind jedoch meist die bessere Wahl.

„Tandem fahren ist sinnvoll, wenn man eine körperliche Beeinträchtigung hat“, sagt Stephan Jacobs. „So kann man sich die Arbeit teilen. Außerdem macht es Spaß, nicht allein unterwegs zu sein.“ Jacobs hat sich lange intensiv mit dem Thema behindertengerechte Fahrräder beschäftigt. Das Tandem spielt für ihn, der eine sehr starke Seheinschränkung hat, dabei eine zentrale Rolle. Lange Jahre war er im Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) aktiv, gründete zwei Tandemclubs und berät bis heute Radlerinnen und Radler, die spezielle Anforderungen oder Wünsche haben.

 

Der Ergonomie möglichst angepasst

„Dreiräder sind besonders für Menschen mit Gleichgewichtsstörungen oder eingeschränkter Mobilität geeignet. Allein weil diese Räder nicht umfallen. Selbst Rollstuhlfahrer können durch Fahrrad-Rollstuhl-Kombinationen Rad fahren.“ Denn, so Jacobs: „Im Grunde kann jedes Rad mit zusätzlichen Optionen wie etwa speziellen Pedalen, Lenkern oder Sätteln so ausgestattet werden, dass es den individuellen Ansprüchen genügt.“

Das Dreirad sorgt für Stabilität beim Fahren, ermöglicht einen erleichterten Aufstieg und sorgt für eine ergonomische Sitzhaltung. „Jede Beeinträchtigung hat eine individuelle Lösung zur Folge, um auf die ergonomischen Anforderungen adäquat zu reagieren“, erklärt Stephan Jacobs. „Ob Sie Ihren Rücken anlehnen, eine stabile Sitzschale brauchen oder ob Ihnen Arme oder Beine fehlen, das alles hat Einfluss auf ihre Bewegungsabläufe und damit auf das Rad und seine Gestaltung.“ So gibt es etwa Dreiräder mit erhöhter Sitzposition oder Tiefeinstieg mit niedrigerer Sitzposition. Dreiräder werden mit Doppelbereifung vorne und einem Rad hinten – sowie umgekehrt – angeboten. Viele Fahrradhändler mit hohem Anspruch an die richtige Ergonomie der Räder, arbeiten daher vertraglich mit der Firma Patria zusammen. Der Hersteller forscht und entwickelt intensiv in Sachen Ergonomie, um die richtigen Maße des Rades den körperlichen Gegebenheiten anzupassen – und setzt dabei sogar Dummys ein.

 

Sitze für alle Lagen

Einen sicheren und bequemen Sitzkomfort bietet das Schalen- oder Sesseldreirad. Durch die größere Sitzfläche und die Rückenlehne ermöglicht es Älteren und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen die nötige Stabilität. Eine Zusatzausstattung bieten zum Beispiel Sondersitze mit orthopädischer Anpassung, Felgen- und Scheibenbremsen, spezielle Fuß- und Stockhalter oder eine Standlichtanlage. Beide Bremssysteme können statt mit einem Bremszugseil, mit einer leichtgängigen Hydraulikbremse bedient werden.

Dreiräder gibt es auch als Tandems, wobei die beiden Fahrer auch nebeneinandersitzen können. Selbstverständlich gibt es auch E-Bikes. Etwa das Scooter-Fahrrad, das ohne eigenes Treten Fahrt aufnimmt.

Für viele Menschen mit Behinderungen, ist ein möglichst erschütterungsfreies Fahren wichtig. Komfortable Federungen bieten sich hier an. Sie fangen Stöße und Unebenheiten auf. Die Liste der möglichen Sonderanfertigungen ist fast unbegrenzt: zum Beispiel eine Lenkung für Menschen mit Conterganschädigung, die verkürzte Armgliedmaßen besitzen. Wer in den Beinen weniger Tretkraft hat, kann sich sein Fahrrad auch mit Handantrieb aus- bzw. umrüsten lassen. Handkurbelantriebe haben meist eine Kette zum Vorderrad oder (wie beim Tandem) zum zweiten Tretlager.

Besonders Lenker werden häufig angepasst. So gibt es Rundlenker für Menschen mit kurzen Armen, spezielle Halterungen zur Unterstützung der Armhaltung und Handführung. Oder sogenannte Dysmelie-Lenker mit Kinnbedienung für Blinkanlage und Hupe oder auch Brustlenker sind machbar. Die Elektronik bietet immer mehr Komfort: „Wenn die Kraft Sie verlässt, hilft etwa ein ‚Velospeeder‘ der Firma Velogical. Er funktioniert umgekehrt wie ein herkömmlicher alter Walzendynamo. Nur wird hier auf beiden Seiten der Felge das Hinterrad angetrieben“, erläutert Stephan Jacobs. Dieser Antrieb ist mit 500 Gramm erheblich leichter als die etwa fünf Kilo schweren E-Bike-Apparaturen. „Außerdem gibt es eine automatische Kettenschaltung von Shimano mit einer elektronischen Bedienung, die es leicht machen, den Gang zu wechseln.“

Speziell für Menschen mit Conterganschädigung sind Dreiräder eine gute Option. Sie können selbstständig, teil-unterstützt oder komplett motorisiert gefahren werden. Besonders oft werden die Modelle Pfau-Tec Proven, Classic oder Comfort oder Pfau-Tec Scootertrike gewählt.

 

Beratung bei Händler, Arzt und Krankenkasse

Grundsätzlich hat nach § 33 Abs 1 SGB V jeder Krankenversicherte einen Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Laut Hilfsmittelverordnung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zählen Therapiefahrräder als Mobilitätshilfen im Straßenverkehr also dazu. Allerdings gilt dies zunächst nur für Kinder und Jugendliche. Trotzdem lohnt sich eine Einzelfallbetrachtung auch für Erwachsene und Ältere. Denn es gab bereits Fallentscheidungen zugunsten der Antragstellenden. 

 

Um einen Zuschuss von der Krankenkasse zu erhalten:

  • Machen Sie einen Termin bei einem Händler und / oder einem Dreirad-Zentrum, die Kompetenz im Umbau von Rädern speziell für Menschen mit Handicap besitzen.
  • Lassen Sie sich eingehend beraten, welches Rad für Sie passend ist und fahren verschiedene Modelle Probe.
  • Besprechen Sie mit dem Händler, welche ergonomischen Anpassungen für Ihre Anforderungsprofil gemacht werden müssen.
  • Fragen Sie nach einem Kostenvoranschlag.

 

Besprechen Sie den Kostenvoranschlag mit dem betreuenden Arzt.

Dieser muss feststellen, dass das ausgewählte Dreirad Ihre Behinderung ausgleicht, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Der Arzt „verordnet“ Ihnen dann das ausgewählte Rad. Legen Sie (möglichst in einen persönlichen Termin) den Kostenvoranschlag und das Arztgutachten der Krankenkasse vor. Falls diese einen Zuschuss oder die Kostenübernahme zusagt, können Sie das Fahrrad in Auftrag geben. Allerdings bleibt dabei in der Regel ein Selbstbehalt bei Ihnen.

„Die meisten Händler sind nicht speziell auf behindertengerechte Räder ausgerichtet“, sagt Stephan Jacobs. Auch wenn deren Anzahl zunehme. „Es braucht schon eine gewisse Expertise. Daher arbeiten viele Händler direkt mit speziellen Herstellern zusammen.“ Der niederländische Hersteller Van Raam dürfte hier der bekannteste sein (im Internet findet man Infos über sein Händlernetz). Jacobs: „Für alle Menschen mit körperlichen Einschränkungen können generell auch HASE Bikes eine gute Wahl sein.“ Sie können durch eine längere Sitzlehne, Kurbelverkürzer oder Spezialpedale umgebaut oder ergänzt werden.