Das Bild zeigt eine Weltkugel und bunte Schleifen

Krebsfrüherkennung bei Menschen mit Conterganschädigungen

Jedes Jahr erhalten in Deutschland etwa eine halbe Million Menschen eine Krebsdiagnose. Für die Betroffenen ist das in jedem Fall ein Schock, doch Krebs kann heute in vielen Fällen geheilt werden, vorausgesetzt die Krankheit wird rechtzeitig erkannt. Die größten Verbesserungen in den Überlebensraten von Krebspatienten habe es in den vergangenen 25 Jahren bei Brustkrebs, Darmkrebs und Prostatakrebs gegeben, so die Deutsche Krebsgesellschaft. Diese Erfolge sind vor allem auf Fortschritte in der Krebsfrüherkennung zurückzuführen. Wird der Tumor im Frühstadium entdeckt, können bei manchen Krebsarten neun von zehn Erkrankten geheilt werden. Auch das belegen Zahlen der Deutschen Krebsgesellschaft. Dennoch nutzt nur jeder fünfte Mann über 45 die kostenlosen Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung. Bei Frauen sind die Zahlen deutlich besser, denn hier geht jede zweite Frau über 20 zur regelmäßigen Krebsvorsorge. Ein möglicher Grund für diesen großen Unterschied in den Zahlen könnte sein, dass „Frauen geschlechtsspezifisch bereits in jungen Jahren für das Thema sensibilisiert“ werden, so Prof. Dr. Naumann, Chefarzt in der Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin im Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen und Mitglied der Expertinnen- und Expertenkommission der Conterganstiftung. Die Aufgabe der Gesundheitsfürsorge lag damals wie auch noch heute vermehrt im Aufgabengebiet der Frau. „Trotz eines Wandels im traditionellen Rollenbild, mag dieses Klischee dazu beitragen, dass Frauen die Krebsfrüherkennung häufiger in Anspruch nehmen. Männer gehen häufig erst dann zum Arzt, wenn sie Symptome haben“, erklärt Prof. Naumann. Ein Umstand, der dramatische Folgen haben kann.

 

Viele vermeiden den Besuch von Praxen und Kliniken

 

„Bei vielen Menschen mit Conterganschädigung ist die Krebsvorsorge ein besonders schwieriges Thema. Betroffene vermeiden den Besuch von Ärzten und Kliniken aufgrund traumatisierender Erfahrungen in ihrer Kindheit und Jugend. Da ist die Überwindung groß, überhaupt zum Arzt zu gehen und sei es auch nur zu einer Vorsorgemaßnahme“, erklärt Dr. Rudolf Beyer, Leiter des multidisziplinären medizinischen Kompetenzzentrums an der Schön Klinik in Hamburg. Dabei seien die Betroffenen jetzt in einem Alter von etwa 60 Jahren und älter, wo Krebsarten wie Hautkrebs, Prostatakrebs, Brustkrebs, Lungenkrebs und Darmkrebs nicht nur typischerweise auftreten, sondern gut behandelt werden können, sofern sie früh erkannt werden. „Aber nicht nur die Überwindung, zum Arzt zu gehen, ist bei Betroffenen groß, es kommen auch körperliche Einschränkungen hinzu: Bei vielen Krebsarten setzt die Diagnostik auf Untersuchungen der Blutwerte. Wenn das Setzen der Spritze aber wegen der Armfehlbildung oder einer veränderten Gefäßlage schwierig ist, scheuen Betroffene vor der Vorsorgeuntersuchung zurück“, erklärt der Oberarzt, der in seinem Zentrum eine interdisziplinäre Contergansprechstunde anbietet und auf jahrelange Erfahrung mit Betroffenen zurückblicken kann. Zudem bestätigt Chefarzt Prof. Dr. Naumann, der selbst Schädigungen durch Contergan erlitten hat, „dass Blutabnahmen aufgrund der Armbehinderung mindestens umständlicher und wiederholt auch nicht auf Anhieb erfolgreich sind.“ Inwieweit die von der Conterganstiftung in Auftrag gegebene Gefäßstudie zum Thema „Gefäß- und Organanomalien bei Menschen mit Conterganschädigung“ einen positiven Mehrwert auch für die Krebsvorsorge liefern kann, bleibt abzuwarten. Denn „bei meinem Interview, als ein Bestandteil der Untersuchungen für die Studie, wurde das Thema Krebsvorsorge nicht erwähnt“, berichtet Prof. Dr. Naumann über seine Studienteilnahme an der Gefäßstudie. Zudem bleiben die Anomalien individuell und sind somit für jede Diagnostik über das Blutbild problematisch.

 

Wissenstransfer und Vernetzung könnte unterstützen

 

Dr. Beyer mahnt dennoch, dass Menschen mit Conterganschädigung die Möglichkeiten der Vorsorge unbedingt wahrnehmen sollten: „Wir haben hier in Hamburg in der letzten Zeit vier Krebsfälle diagnostiziert, drei davon glücklicherweise so frühzeitig, dass wir die Patienten heilen konnten“. Dr. Beyer rät allen Menschen mit Conterganschädigung: „Bitte nehmen Sie alle angebotenen Vorsorgeuntersuchungen wahr!“ Ein guter erster Ansprechpartner sei in der Regel der Hausarzt, der erfahrene Fachärzte und Kliniken in der Region nennen kann, die sich mit Contergan-typischen Begleiterscheinungen auskennen. Ein wichtiger Punkt, den auch die Conterganstiftung mit ihrer Vernetzungsstrategie verfolgt. Hierbei steht, neben der Förderung des medizinischen Wissenstransfers zwischen Kompetenzzentren und niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen, auch die Vernetzung unter den Fachleuten im Vordergrund. Das „Wissen zu bündeln und über Erfahrungsaustausch in die Ärzteschaft zu tragen, ist für Betroffene ganz entscheidend, um eine medizinisch angemessene Versorgung zu erhalten“, so der Vorstandsvorsitzende der Conterganstiftung Dieter Hackler beim letzten Gesamttreffen der Kompetenzzentren. Auch „Informationen z.B. über die Ortsverbände, die Informationsmaterial über die Landesverbände erhalten könnten“, könnten dazu beitragen, dass Menschen mit Conterganschädigung die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen häufiger nutzen, so ein Vorschlag von Prof. Dr. Naumann.

 

Je früher erkannt, desto besser die Heilungschance

 

„Kann der Hausarzt nicht weiterhelfen, dann bleiben noch die inzwischen zehn multidisziplinären medizinischen Kompetenzzentren im gesamten Bundesgebiet“, so Dr. Beyer. „Sie haben die Anbindung an weitere Fachabteilungen innerhalb der jeweiligen Klinik, sind auf die Versorgung von Menschen mit Conterganschädigung ausgerichtet und können auf jeden Fall helfen – auch wenn möglicherweise zusätzliche Schwierigkeiten wie Gehörlosigkeit oder Verständnisprobleme hinzukommen“, so Dr. Beyer. „Krebsvorsorge ist heute kein Hexenwerk mehr. Wir von den Kompetenzzentren überlegen uns für jede Patientin und jeden Patienten etwas. Das muss man von uns erwarten können“.

Denn Krebsvorsorge lohnt sich: Die nach dem Alter berechneten Sterberaten an Krebs gingen laut Deutscher Krebsgesellschaft im vergangenen Jahrzehnt bei Männern um 17 Prozent und bei Frauen um elf Prozent zurück. Ein positiver Trend, der unbedingt fortgeführt werden muss.

Das Interview mit Herrn Prof. Naumann zu seiner Teilnahme an der Gefäßstudie der Conterganstiftung finden Sie hier.

 

Ihre Gesundheit zählt!

 

Krebsvorsorge ist vor allem im Alter wichtig. Deshalb werden wir von nun an regelmäßig auf das Thema mit weiteren informativen Beiträgen hinweisen.

 

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