Das Bild zeigt einen Artikelausschnitt bei tagesschau.de zum Thema Conterganrente.

Wenn Qualitätsjournalismus scheitert

Als „vierte Gewalt“ ist die Publizistik ein hohes Gut unserer Gesellschaft und kritischer Journalismus ein wichtiges Korrektiv, um Fehlern und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Damit dies gelingen kann, haben Journalisten verbriefte Rechte – aber auch verbindliche Pflichten. Besonders der Qualitätsjournalismus reklamiert für sich, hier vorbildlich zu sein. Wie weit Anspruch und Wirklichkeit zuweilen auseinanderklaffen, zeigt der aktuelle Fall der Berichterstattung zur Novellierung des Conterganstiftungsgesetzes auf tagesschau.de (Link zum Artikel) . CIP hat eine Chronologie der Ereignisse zusammengestellt.

Im Vorfeld der Bundestagsdebatte schickte die Redaktion „Aktuelles“ des NDR am 11.6.2020 einen umfangreichen Fragenkatalog an die Geschäftsstelle der Conterganstiftung. Die Fragen beruhten auf einer Reihe sachlich falscher Prämissen. Die Stiftung nahm die Gelegenheit wahr und beantwortete alle Fragen ausführlich und faktisch richtig (Anlage 1: Fragen vom NDR), in der Annahme, so zur korrekten Berichterstattung beigetragen zu haben.

Die Folge: Der Artikel, der am 18.6.2020 auf tagesschau.de erschien, enthielt Fehler und stellte Zusammenhänge her, die nicht korrekt waren. In einem Schreiben vom 18.6.2020, das per Mail und auf dem Postweg an den verantwortlichen Ressortleiter in Hamburg ging, stellte die Geschäftsstelle alle Sachverhalte nochmals richtig und lud die Redaktion zu einem Hintergrundgespräch ein, um solche Fehler in Zukunft zu verhindern (Anlage 2: Schreiben der Stiftung an die Redaktion)

Um die gröbsten Fehler richtig zu stellen und dem Leser eine Meinungsbildung zu ermöglichen, wollte die Stiftung am 18.6.2020 das Kommentarfeld unter dem Artikel nutzen. Die Kommentarfunktion war allerdings gesperrt. Eine Reaktion also nicht möglich. Lediglich ein polemischer Kommentar, der seine Entrüstung aus den falschen Informationen des Artikels bezog, stand dort. Die Geschäftsstelle nahm daraufhin mit der Redaktion Kontakt auf und bat um die Einstellung eines Kommentars (Anlage 3: Kommentar zum Bericht). Die Redaktion forderte daraufhin die Zusendung des Kommentars an, was umgehend geschah.

Einen Tag später meldete sich die Redaktion per Mail bei der Geschäftsstelle und teilte mit: „Es ist leider nicht möglich, Ihren Kommentar jetzt im Nachhinein noch als User-Kommentar zu veröffentlichen.“ Das ist verwunderlich, weil dies auch schon am Vortag hätte bekannt sein müssen. Dass Kommentierungen im Vorhinein erfolgen müssen, ist zudem ein Novum. Man bot an, redaktionell auf einen entsprechenden Bericht im CIP zu verweisen, was allerdings nicht einer Kommentierung unter dem Artikel gleichkommt.  

Zwischenzeitlich wurde der polemische Kommentar gelöscht. Warum dieser entfernt wurde, ist unklar. (tagesschau.de zur eigenen Netiquette: „Wir zensieren nicht. Das könnten nur ein Staat und seine Institutionen. Wir üben aber auf unseren Seiten das Hausrecht aus. Dabei sehen wir es als unsere wichtigste Aufgabe an, Ihnen eine konstruktive Diskussion zu ermöglichen.“)

Der Pressekodex, den gerade der Qualitätsjournalismus für sich reklamiert, ist eindeutig in seiner Position: Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden.“

Auch im Umgang mit Richtigstellungen ist der Kodex eindeutig: "Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen…, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtigzustellen.“

 

Nachtrag: 

Zwischenzeitlich hat die Redaktion unseren Kommentar tatsächlich eingestellt, was zuvor angeblich nicht möglich war. Er wird in einem grauen Infokasten der Redaktion angekündigt, ist also nicht sofort zu lesen. Der Link zum Kommentartext selbst ist aber in dem Ankündigungstext grafisch nicht abgesetzt und damit nicht erkennbar. Also wirkungslos. Auf Nachfrage wurde erklärt, eine Unterstreichung des Wortes „Kommentar“ ließe das Content-Management-System nicht zu. 

Nach rund vier Wochen hat die Redaktion auch auf unser Schreiben reagiert und den Vorwurf nicht korrekter Berichterstattung zurückgewiesen (Anlage 4: Antwort des NDR). Der Vollständigkeit halber ist das Antwortschreiben der Stiftung ebenfalls hier dokumentiert (Anlage 5: Antwortschreiben der Conterganstiftung an den NDR)

 

DOKUMENTE

 

Anlage 1 Fragen vom NDR

Anlage 2 Schreiben der Stiftung an die Redaktion

Anlage 3 Kommentar zum Bericht

Anlage 4 Antwort des NDR

Anlage 5 Antwortschreiben der Conterganstiftung an den NDR