Das Bild zeigt einen Arzt vor einem Computer-Tomografen beim Lesen eines Patientenberichtes

„Die Menschen wollen Antworten"

Nach langer und intensiver Vorbereitung kann die Gefäßstudie nun starten. Mehr als 400 Probandinnen und Probanden können sich in den kommenden Wochen und Monaten an den Standorten Köln und Ulm untersuchen lassen. Was passiert in der Studie? Was will sie herausfinden und wann kann mit ersten Ergebnissen gerechnet werden? Wir haben dazu mit den Leitern der Studie, Prof. Dr. David Maintz von der Universitätsklinik Köln und Prof. Dr. Meinrad Beer von der Uni Ulm, gesprochen.

 

Herr Prof. Maintz, Herr Prof. Beer, Sie beide haben die Durchführung der Studie zum Thema Gefäß- und Organanomalien bei Menschen mit Conterganschädigung federführend übernommen. Was war Ihre Motivation?

Prof. Maintz: Im vorletzten Jahr musste kurzfristig eine neue Leitung für diese Studie gesucht werden. Bei uns in Köln haben wir für eine Studienleitung sehr gute Bedingungen. Die Uniklinik Köln ist radiologisch optimal ausgestattet. Zudem können uns Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer gut erreichen. Auch solche Punkte spielen ja eine Rolle. Für mich waren sowohl persönliches Verantwortungsbewusstsein als auch wissenschaftliche Herausforderung bei der Entscheidung zur Übernahme ausschlaggebend.

Prof. Beer: Zu meiner Motivation gehört auch die Historie des Conterganskandals selbst. Es gab einen Bezug zur Problematik in meinem erweiterten privaten Umfeld, der mein Interesse früh geprägt hat. Als die Anfrage mit der großangelegten Gefäßstudie kam, war schnell klar, dass wir in Ulm gerne dabei sind. Ich denke, die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von Köln und Ulm sind optimal, was die Bedingungen und das wissenschaftliche Arbeiten angeht.

 

In welcher Phase befand sich die Studie, als Sie diese übernommen haben? Welche organisatorischen Herausforderungen ergaben bzw. ergeben sich durch den Wechsel der Studienleitung?

Prof. Beer: Die Studie war in der ersten Phase bereits sehr gut vorbereitet worden. Da sich die Uni-Radiologien regelmäßig treffen und austauschen, war der Übergang vereinfacht. Statt dreien sind es nun eben zwei Partner, gewisse Herausforderungen gibt es aber immer. 

Prof. Maintz: Ja. Eine Studie dieser Größenordnung ist immer eine organisatorische Herausforderung, allein aufgrund der vielen formalen Vorgaben. Diese haben leider auch zu einem Verzug beim Beginn der Studie geführt. Auch die Ethikkommission wurde eingebunden. Nun können wir mit den ersten Probandinnen und Probanden starten.

 

Worüber genau soll die Studie Erkenntnisse liefern? Und warum ist es so wichtig, dass sie jetzt durchgeführt wird?

Prof. Maintz: Aus kleineren Vorstudien gibt es Hinweise, dass bei Menschen mit Conterganschädigung nicht nur Fehlbildungen an den Extremitäten, sondern auch Varianten von Gefäßen gehäuft auftreten. Die jetzt anlaufende Studie soll diesen Verdacht qualitativ und quantitativ wissenschaftlich untersuchen.

Prof. Beer: Was noch wichtig ist: viele der Betroffenen sind nun in ihren 60ern. In dieser Lebensspanne nehmen Gefäßerkrankungen generell zu. Daher untersuchen wir zusätzlich eine Vergleichsgruppe aus der Bevölkerung, die keine Conterganschädigung hat.

 

Welcher Nutzen könnte sich für die Ärztinnen und Ärzte und die Betroffenen ergeben?

Prof. Maintz: Für die Betroffenen und die behandelnden Ärzte ist es wichtig zu wissen, ob eventuelle Gefäßfehlbildungen und/oder -varianten einen Krankheitswert haben. Dabei muss eine solche Fehlbildung oder eine Variante im Alltag gar keine Einschränkung für Betroffene darstellen und auch keine eingeschränkte Lebenserwartung bedeuten. Aber allein, wenn bei der Person eine Operation anstehen sollte, wäre es für den Eingriff von Vorteil, im Vorfeld über gehäufte Varianten Kenntnis zu haben.

Prof. Beer: Wir wollen zudem wissen, inwieweit hier ein Unterschied zwischen Menschen mit Conterganschädigung und jenen aus der Vergleichsgruppe besteht. Beides kann ja eine Entlastung sein, wenn man die Gewissheit hat: Es ist signifikant – oder eben nicht.

 

Der Start der Studie war für November 2021 angesetzt. Was waren die Gründe für die Verzögerung?

Prof. Beer: Wie gesagt, gab es durch die Umstrukturierung und Formalia einige Verzögerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie zu einer enormen zusätzlichen personellen Belastung gerade an den Unikliniken geführt.

Prof. Maintz: Zuletzt waren es nur noch kleinere abschließende formale Schritte, z.B. den Datenschutz betreffend, die es zu bewältigen galt. Da wir in zwei Bundesländern agieren sind auch zwei Datenschutzbeauftragte einzubeziehen. Jetzt kann es aber endlich losgehen.

 

Worauf müssen sich die Studienteilnehmenden einstellen? Welche Untersuchungen werden vorgenommen und welcher zeitliche Rahmen ist dafür am Untersuchungstag vorgesehen?

Prof. Maintz: Die Teilnehmenden müssen sich auf mehrere Untersuchungen im MRT und im Ultraschall einstellen, die jeweils bis zu einer Stunde dauern können. Etwa ein halber Tag im Klinikum ist daher in jedem Fall einzuplanen, vielleicht sechs Stunden für das gesamte Untersuchungspaket.

Prof. Beer: unser Ziel ist es, den Aufenthalt für die Teilnehmenden so kurz wie möglich zu halten. Daher fokussieren wir uns auf hochmoderne MRT und Ultraschall-Untersuchungen. Die Geräte an beiden Standorten sind übrigens identisch und kommen ohne Kontrastmittel aus.

 

An der Studie sollen 438 Menschen mit Conterganschädigung teilnehmen. Wann rechnen Sie mit ersten Erkenntnissen? Und in welcher Form werden Sie die Ergebnisse veröffentlichen?

Prof. Maintz: Nach zwei Jahren rechnen wir mit ersten Zwischenergebnissen. Endgültige Ergebnisse werden nach vier Jahren feststehen. Diese werden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht, d. h. die Ergebnisse werden wie üblich von anderen Expertinnen und Experten vor Veröffentlichung nach den Kriterien „guter wissenschaftlicher Praxis“ geprüft.

 

Werden diese auch der niedergelassenen Ärzteschaft und den Krankenhäusern zugänglich gemacht? Wenn ja, wie?

Prof. Maintz: Ja, die Veröffentlichung der Ergebnisse in wissenschaftlichen Fachzeitschriften stellt sicher, dass sämtliche Fachleute und auch behandelnden Ärzte Kenntnis über die Ergebnisse erlangen können. Ebenso stellen die Publikationen sicher, dass Wissenschaftler der Zukunft, die sich mit diesem oder verwandten Themen beschäftigen, in ihrer Forschung auf unsere Ergebnisse aufbauen können. Der Austausch mit den Fachärztinnen und -ärzten, etwa in den Kompetenzzentren, ist selbstverständlich.

Prof. Beer: Wissenschaft ist ein dickes Brett. Die ersten Ergebnisse brauchen ihre Zeit. Das muss man klar kommunizieren, denn die Betroffenen wollen Antworten. Es wird aber am Ende verallgemeinerbare Erkenntnisse wissenschaftlicher Art geben, die allen zugutekommen und die von Ärztinnen und Ärzten genutzt werden können.

Es gibt zudem die individuellen Befunde aus der Erhebung. Diese werden den einzelnen Teilnehmenden zur Verfügung gestellt. Über diese können sie dann jeweils für sich verfügen. Es ist wichtig, diese beiden Bereiche gemeinsam zu betrachten.

 

Herr Prof. Maintz, Herr Prof. Beer, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Gefäßstudie und bedanken uns für das Gespräch!

 

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