Das Bild zeigt Frau Antje Kratz beim Malen

Ein Leben für die Kunst

In Frankfurt geboren, in Frankfurt geblieben. So fasst Antje Kratz ihr Leben kurz zusammen. Doch das ist reines Understatement. Denn die bald 60-jährige blickt trotz dieser Heimattreue auf ein erfolgreiches und erfülltes Leben als Künstlerin zurück – nicht nur in Frankfurt. Auch mit ihrer Conterganschädigung hat sie es geschafft, sich selbst und vor allem der Kunst treu zu bleiben.

 

„Ich kann mich an ein Leben ohne Kunst eigentlich gar nicht mehr erinnern“, sagt Antje Kratz. „Schon in der Schulzeit hat sie mich fasziniert, gepackt und dann nicht mehr losgelassen. Ich war damals auf einer Körperbehindertenschule, wo Kunst- und Werkunterricht angeboten wurden. Damit fing es alles an.“ Dadurch, dass sie durch Contergan keine Arme hat, war Antje Kratz sehr früh schon darauf angewiesen, ihre Beine und Füße einzusetzen. „So habe ich eben alles mit den Füßen erlernt: von alltäglichen Handgriffen bis zum Malen.“ Ein Praktikum im Büro habe sie auch absolviert. Dabei sei ihr aber schnell klar geworden, dass das nichts für sie sei.

 

Von den Städtischen Bühnen an die Staffelei

Antje Kratz hat schnell erkannt, wie viel von ihrem eigenen Engagement abhängt. Allerdings, so hebt sie hervor, braucht man auch Glück. Ein solcher Glücksfall ergab sich durch den Kontakt zu den Städtischen Bühnen Frankfurt: „Nach meinem Schulabschluss Ende der Siebzigerjahre habe ich bei den Städtischen Bühnen vorgesprochen, und der damalige Leiter, Hermann Haindl, war entweder trotz oder gerade wegen meiner Behinderung angetan von mir und hat mich sofort unterstützt. So konnte ich ein Volontariat im Malersaal machen.“ Auf diesem Wege hat sie dann viel über Malerei gelernt - wie etwa Materialkunde, das Farbenmischen oder wie Bühnenbilder für das Theater entstehen. „Die Bühnenbildnerei hätte mich natürlich auch brennend interessiert. Doch das war aufgrund meiner körperlichen Einschränkung als Beruf leider nicht machbar.“

Im Anschluss an das Volontariat wurde sie weiter privat von Hermann Haindl ausgebildet. In diese Zeit fallen auch Studienreisen, etwa in die Toskana, wo Antje Kratz sich auch erstmals intensiv mit anderen Künstlerinnen und Künstlern austauschen konnte. „Das war eine schöne Zeit, in der ich viel gelernt habe und noch heute von zehre“, berichtet sie. Irgendwann in diesen Tagen hat sie dann den Entschluss gefasst, das mit der Kunst soll nicht nur Leidenschaft sein, sondern auch für den Lebensunterhalt sorgen.

So bewarb sie sich mit einigen frühen Werken bei der Vereinigung der mund- und fußmalenden Künstler in aller Welt e. V. (VDMFK). „Im Zuge dessen habe ich dann auch andere Menschen mit Contergangeschädigung kennengelernt, etwa aus England“, sagt Antje Kratz, die heute zu den fünf Vollmitgliedern des VDMFK in Deutschland gehört. „Da die Vereinigung international aktiv und gut vernetzt ist, bekommt man natürlich ein recht breites Publikum. Es ist ja schwer genug, die Menschen mit den eigenen Werken zu erreichen. Das ist schon ein großer Vorteil.“ Durch ein monatliches Honorar der Vereinigung und die Conterganrente ist sie finanziell abgesichert und kann sich ganz der Kunst widmen. Teilweise sieht man ihre Bilder auf internationalen Ausstellungen. Ebenso gibt es Kunstdrucke, Kalender oder Postkartenmotive.

 

„Alles kann eine Inspiration sein“ 

Zwar hat sie sich in den frühen Achtzigern auf die Fußmalerei spezialisiert und malt in der Hauptsache mit Ölfarben. Dennoch ist sie offen für alle möglichen Kunst- und Ausdrucksformen. Vom Modellieren mit Ton oder Holz bis hin zum Ballett hat sie Vieles ausprobiert. Dem Tanzen ist sie länger treu geblieben. „Es ist lange her, dass ich selbst Ballett getanzt habe. Aber eine ganze Zeit lang war auch das ein wichtiger Teil in meinem Leben.“ Als Jugendliche hat sie angefangen und ist bis in ihre späten Zwanziger dabeigeblieben. „Meine Mutter war sehr daran interessiert, dass ich meinen Körper kennenlerne und mit anderen Nicht-Behinderten zusammen bin.“ Auch hier wieder entscheidend: Die Unterstützung durch eine Lehrerin wie die Akzeptanz durch die anderen Balletttänzerinnen.

Woher bekommt sie die für ihre Kunst so wichtige Inspiration? Emil Nolde und van Gogh nennt sie als Favoriten, die sie aber nicht nachahmt. „Man kann sich durch alles Mögliche inspirieren lassen. Ein Erlebnis, ein Foto - und nicht immer ist offenkundig, was einen beschäftigt und dann seinen Weg auf die Leinwand findet“, sagt Antje Kratz. Inspirationen sammelt die Künstlerin auch auf den Reisen, die sie mit Ihrem Ehemann unternimmt. Die beiden haben auf Sizilien geheiratet. Der gelernte Metzger fotografiert gerne, was dann am Ende ein Anfang für ein Bild seiner Ehefrau sein kann.

 

Beweglich bleiben ist das Wichtigste

Contergan, die Conterganschädigung und die damit verbundenen Kämpfe und Einschränkungen spielen in ihren Bildern keine Rolle. Und sie fährt nach eigenem Bekunden gut damit, die beiden Bereiche strikt zu trennen. Die Kunst zählt, nicht die Rahmenbedingungen, unter denen sie entsteht. Ein Bild muss für sich stehen können.

In diesem Jahr wird Antje Kratz 60. Was wünscht sich die engagierte Künstlerin für die Zukunft? „Beweglichkeit ist das Wichtigste. Ich wünsche mir, dass ich körperlich einigermaßen fit bleibe - auch im Kopf - und so weiterhin meine Sachen machen und bald wieder reisen kann.“ Sicherlich würde Vieles mit zunehmendem Alter beschwerlicher. „Das lange Sitzen auf dem Steiß, die Körperhaltung beim Malen mit den Füßen, all das geht nicht mehr so leicht wie früher.“ Dennoch ist sie weit davon entfernt, einen Groll zu hegen oder mit ihrem Schicksal zu hadern: „Es ist alles glatt gelaufen. Ich habe eine Conterganschädigung, ja. Ich habe keine Arme. Das ist eben so und das habe ich früh akzeptiert.“ Gleichwohl ist ihr klar, dass sie auch Glück hatte. „Ich kann mich glücklich schätzen, dass das alles so gut geklappt hat. Ich kann von meinen Fähigkeiten leben, meine Gabe ausleben. Das Malen ist meine Passion und mein Beruf. In einem Büro wäre ich kreuzunglücklich geworden.“