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FAQ zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09. Juli 2025

Am 09. Juli 2025 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem konkreten Einzelfall eines Antragstellers entschieden, dass die Conterganstiftung über dessen Antrag auf Anerkennung als Geschädigter neu entscheiden muss. Das BVerwG bestätigt damit die verfahrensrechtliche Kritik des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster im Urteil vom November 2023 - nämlich die Notwendigkeit, dass die Medizinische Kommission als Gremium mit Beteiligung aller, zuletzt 22 Kommissionsmitglieder entscheiden muss.

Dieser neuen Vorgabe kam die Conterganstiftung sofort nach Vorlage und Prüfung der Urteilsgründe der Entscheidung des OVG nach. Mit Beschluss durch den Stiftungsrat der Conterganstiftung trat zum 01. November 2024 eine neue Geschäftsordnung in Kraft. Die seitdem tätigen zwei Medizinischen Kommissionen mit je 6 Mitgliedern setzen die vom OVG Münster im Urteil vom November 2023 erstmals geforderten und nun vom BVerwG bestätigten Anforderungen an die Gremienentscheidung vollständig um.

Den konkreten Einzelfall wird die Conterganstiftung auf der Grundlage der neuen Geschäftsordnung durch eine der Medizinischen Kommissionen erneut prüfen lassen.

Über den konkreten Einzelfall hinaus hat das BVerwG zudem eine wesentliche Grundsatzfrage entschieden, die zukünftige Anerkennungsverfahren betrifft: Wie wahrscheinlich muss es sein, dass eine Fehlbildung tatsächlich durch die Einnahme von Contergan in der Schwangerschaft verursacht wurde?

Vorausgegangen ist ebenfalls das Urteil des OVG Münster vom November 2023. Das OVG hatte erstmals entschieden, dass bereits dann anerkannt werden müsse, wenn andere mögliche Ursachen genauso wahrscheinlich sind wie Contergan. Mit dieser Ansicht wurde die jahrelange Rechtsprechung aufgegeben.

Die Conterganstiftung erkannte in diesem Urteil eine rechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung - insbesondere für Menschen und ihre Anerkennungsverfahren. Deshalb hat sie Revision gegen das Urteil des OVG Münster eingelegt und eine Entscheidung des BVerwG angestrebt, um Rechtsklarheit zu schaffen. Das OVG selbst hatte diese höchstrichterliche Überprüfung zur Schaffung von Rechtsklarheit ermöglicht, indem es die Revision zugelassen hatte.

Das BVerwG ist bei der Frage des Beweismaßstabs nicht der Rechtsauffassung des OVG Münster gefolgt. Es hat klargestellt, dass eine Gleichwahrscheinlichkeit verschiedener Ursachen nicht ausreicht. Contergan muss die wahrscheinlichste Ursache sein.

Das höchste Verwaltungsgericht der Bundesrepublik Deutschland hat damit die bisherige Anerkennungspraxis im Wesentlichen bestätigt: Eine Anerkennung erfolgt nur, wenn Contergan mit hoher Wahrscheinlichkeit die Hauptursache der Schädigung ist.

Zu diesem Thema haben wir durch das Urteil des BVerwG nun Rechtssicherheit und das begrüßen wir.

Die folgenden Fragen und Antworten sollen Ihnen helfen, das Urteil besser zu verstehen und einzuordnen, was es für Sie bedeuten kann. Wenn Sie darüber hinaus Fragen haben, wenden Sie sich gern an die Geschäftsstelle der Conterganstiftung.

1. Frage: Hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09. Juli 2025 Auswirkungen auf mich als anerkannte Geschädigte bzw. anerkannter Geschädigter?

Antwort: Das Urteil hat keine direkten Auswirkungen auf anerkannt geschädigte Personen.

 

2. Frage: Was bedeutet es für mich, wenn die Medizinische Kommission auch in meinem Fall in unvollständiger Besetzung Befunde geprüft und bewertet haben sollte?

Antwort: In der Vergangenheit wurden nicht alle, zuletzt 21 fachärztlichen Kommissionsmitglieder in jede Antragsprüfung einbezogen, sondern zum Teil nur diejenigen fachärztlichen Kommissionsmitglieder, deren medizinisches Fachgebiet betroffen war. Diese Praxis war vor dem Urteil des OVG vom 23. November 2023 von den Gerichten nicht beanstandet, sondern bestätigt worden. Bescheide aus der Vergangenheit entstanden in einer Verfahrensweise, welche gerichtlich nicht beanstandet worden war, und sind rechtskräftig.

 

3. Frage: Sollte die Medizinische Kommission in der Vergangenheit über meine Anträge nicht mit einer Gremienentscheidung entschieden haben: Muss mein Fall dann überprüft werden? Werden alle Unterlagen noch einmal geprüft?

Antwort: Die bisherigen Bescheide sind rechtskräftig und müssen nicht überprüft werden. Im Falle einer gesundheitlichen Verschlechterung besteht weiterhin die Möglichkeit, auf der Basis neuer Befunde einen Revisionsantrag zu stellen. Dann prüft die Medizinische Kommission als Gesamtgremium den Antrag und wird eine Entscheidung treffen. In diesem Fall hat das Urteil Auswirkungen, weil die Kommission nun in einer anderen, neuen Besetzung den Antrag und die neuen Befunde prüfen und bewerten wird.

 

4.Frage: Was bedeutet „Beweismaßstab“ für die Conterganeinnahme durch die Mutter in der Schwangerschaft?

Antwort: Nicht immer lassen sich Dinge vollumfänglich beweisen. Dann muss geprüft werden, wie wahrscheinlich etwas geschah. Für die Conterganeinnahme durch die Mutter in der Schwangerschaft lässt sich im Falle von Neu-Anträgen selten beweisen, dass die Mutter Contergan einnahm: Die Mutter kann vielleicht nicht mehr befragt werden, die damals behandelnden Ärzte können nicht mehr befragt werden, an den Name des Medikaments wird sich nicht mehr erinnert. In jedem Einzelfall muss dann geprüft werden, wie wahrscheinlich die Mutter tatsächlich Contergan eingenommen hat.

 

5. Frage: Was bedeutet „Beweismaßstab“ für die Ursächlichkeit der Conterganeinnahme für die Schädigung?

Antwort: Für eine Anerkennung muss eine körperliche Schädigung vorliegen, welche sich als Funktionsstörung bemerkbar macht. Nicht jede Schädigung führt auch zu einer Funktionseinschränkung. Eine Funktionseinschränkung ist aber Bedingung für eine Anerkennung. Körperliche Fehlbildungen können sehr viele Ursachen haben, beispielsweise genetische Defekte, Viren, Medikamente wie Thalidomid. Daher ist es schwierig herauszufinden, ob eine Schädigung auf die Einnahme von Contergan zurückzuführen ist. In der Vergangenheit musste die Conterganeinnahme die wahrscheinlichste Ursache für die Schädigung sein. Diesen Bewertungsmaßstab hat das Bundesverwaltungsgericht als Beweismaßstab nun bestätigt.

 

6. Frage: Die Conterganstiftung hat meinen Neu-Antrag auf Anerkennung abgelehnt. Muss die Conterganstiftung meinen abgelehnten Neu-Antrag nun überprüfen?

Antwort: Wenn ein Bescheid oder ein Widerspruchsbescheid noch nicht vorliegen, ist das Antragsverfahren noch nicht abgeschlossen. Der Bescheid wird unter Beachtung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts ergehen. Hat die Conterganstiftung bereits über Ihren Neu-Antrag rechtskräftig entschieden, hat dieser Bescheid Gültigkeit und muss von der Conterganstiftung nicht automatisch überprüft werden.

 

 

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