Das Bild zeigt ein Urlaubsfoto von Frau Störmer-Smith und ihrem Mann

„Es war ein Kampf, sich normal zu verhalten im Anderssein.“

Im Magazin des Contergan-Infoportals (CIP) werden Leserinnen und Leser seit dem Relaunch 2020 über ein breites Themenspektrum informiert. Dabei portraitieren wir oft Menschen, die ihre ganz persönliche Geschichte erzählen. In dieser Serie geht es um Berufsbiografien. Wie haben Menschen mit Conterganschädigung ihren beruflichen Werdegang erlebt? Welche Ausbildung haben sie gewählt oder auch alternativ wählen müssen? Wo waren die Hindernisse, an welchen Stellen haben sie wann und durch wen Hilfe erfahren? 

Beate Störmer-Smith ist ein durch und durch positiver Mensch. Dabei wurde ihre Familie gleich zweifach Opfer von Contergan: Außer ihr selbst ist auch ihre Zwillingsschwester betroffen. „Als zweieiige Zwillinge ist die Art der Behinderung allerdings völlig unterschiedlich“, sagt sie. „Meine Schwester hat Schädigungen an den inneren Organen. Ich habe verkürzte Arme, meine Schultern sind betroffen und auch im Rücken habe ich Probleme. Bei mir kann man die Schädigung also eher sehen.“ Mit dieser Sichtbarkeit – Störmer-Smith nennt sich selbst „sichtbar behindert“ – ist sie immer offen umgegangen.

 

Anders sein im Normalen

An Selbstbewusstsein hat es Beate Störmer-Smith nie gemangelt. Auch wenn sie schon früh im Leben damit klarkommen musste, dass ihr Körper irgendwie anders war als der von anderen Kindern, hat sie nicht einsehen wollen, warum sie nicht dieselben Dinge wie alle anderen machen sollte. Ein Selbstbewusstsein mit Tücken: „Allein, weil meine dünnen und geschwächten Arme meinen Körper nicht abfedern und halten konnten, führte meine ungestüme Art hin und wieder zu Knochenbrüchen“. Und zu weiteren Arztbesuchen – über jene hinaus, die wegen ihrer Conterganschädigung ohnehin erforderlich waren.

„Anfangs war meine Schwester immer abgestellt, auf mich aufzupassen. Obwohl wir gleich alt waren, galt sie als die Kräftigere und Stärkere.“ Abgesehen davon wurde kein großer Unterschied gemacht, was die Erziehung der drei Geschwister betraf. Neben ihrer Zwillingsschwester hat Beate Störmer-Smith noch einen jüngeren Bruder. „Wir mussten alles erlernen und machen, vom selbst Anziehen bis zum Helfen im Haushalt.“ Was nicht folgenlos blieb: „Spülen hasse ich bis heute.“

Doch die Eltern hatten ein Ziel: Beate sollte im Leben allein zurechtkommen. Klar habe es Hänseleien gegeben, andere Kinder waren oft grausam. Doch die Eltern bestanden darauf, dass sie sich dagegen wehren musste. „Es war ein Kampf, sich normal zu verhalten im Anderssein.“

 

Inklusion war nicht vorgesehen

Die Begegnung mit körperlich eingeschränkten Menschen kam im Alltag der frühen 1960er Jahre praktisch nicht vor. Schulen, Institutionen und die Menschen waren damals entweder unbeholfen oder ablehnend – oft auch beides. Doch mit dem Conterganskandal waren da auf einen Schlag einige Tausend Kinder mit Conterganschädigung, mit denen man umgehen musste und nur selten konnte. „Wir waren sozusagen nicht vorgesehen“, bestätigt Beate Störmer-Smith.

„Zunächst kamen meine Schwester und ich auf eine ganz normale Schule“, erzählt sie. Angeregt durch Helmut Rinna, den Gründer des Conterganverbandes Bochum, wurde eine Schule gezielt für „Contergan-Kinder“ eingerichtet. Sowas wie Inklusion in Regelschulen gab es damals noch nicht. Somit kamen zehn Schülerinnen und Schüler mit Conterganschädigung zusammen. Inhaltlich war das Programm das einer Regelgrundschule bzw. Volksschule, wie es damals noch hieß. „So unterschiedlich unsere Schädigungen auch waren, fühlten wir uns untereinander relativ gleich“, sagt Störmer-Smith. Die Mittlere Reife absolvierte sie souverän.

 

„Du kannst doch gut zeichnen!“

„Ich quassele gern. Beruflich wollte ich daher etwas mit Menschen machen“, sagt sie. „Arzthelferin schwebte mir vor, mit vielen Begegnungen und Kontakten.“ Doch daraus wurde nichts. Ihr Umfeld verwies immer wieder auf ihr großes Zeichentalent – was nicht falsch war, aber nicht ihre auserwählte Lieblingstätigkeit. Trotzdem machte Beate eine Lehre zur technischen Zeichnerin bei der Stadt Bochum. Eine städtische Ausbildung im öffentlichen Dienst schien in der noch jungen Republik ein machbarer Zugang mit guter Absicherung für Menschen mit Behinderung zu sein.

„Allerdings war die eigentliche Ausbildung zur Bauzeichnerin nicht machbar, weil ich nicht auf den Bau konnte oder besser: nicht durfte. Da ich ja angeblich keine Steine schleppen konnte“, erklärt Störmer-Smith. So lautete die Tätigkeit am Ende Teilzeichnerin. „Eignungs- und Aufnahmeprüfung bestand ich. Mein Ausbilder mochte meine Arbeiten. Ob ich wirklich so gut war oder er mich irgendwie bevorzugte, weiß ich nicht.“ Doch man meinte es offenbar immer gut mit ihr, denn bereits nach kurzer Anstellung im Planungsamt konnte sie ins Grünflächenamt wechseln. Und das auf Anregung von außen und ohne eigene Bewerbung.

 

Intelligenznachweis für den Führerschein

An anderen Stellen lief es wiederum nicht so glatt. Am Beispiel Führerschein belegt die Biografie von Beate Störmer-Smith, wie viel man damals wie heute im Umgang mit körperlich eingeschränkten Menschen zu lernen hat. „Klar wollte ich wie alle Jugendlichen meinen Führerschein machen“, sagt sie. „Nun mussten wir Leute mit Conterganschädigung aber erst einmal belegen, dass wir die nötige Intelligenz dazu hatten. Außerdem gab es Auflagen, wie ein Auto für uns zu sein hatte.“

Theorie und Praxis waren kein Problem. Doch hätte Beate Störmer-Smith von Rechtswegen nur einen Automatik-PKW bewegen dürfen. „Unmöglich“, wie sie fand. Sie wollte ein Auto mit Schaltgetriebe fahren – nicht nur aufgrund zweier funktionierender Beine. Also wurde sie aktiv. „Ich konnte mich immer schon gut breit machen. Also bin ich zum Straßenverkehrsamt und habe die Leute dort zur Rede gestellt.“ Mit Erfolg und der Auflage für das Fahren mit Schaltgetriebe, weitere sechs Fahrstunden mit Kupplung und Gangschaltung absolvieren zu müssen.

 

Kinder, Straffällige und Krebs

Gut 15 Jahre arbeitete Beate Störmer-Smith bei der Stadt als Teilzeichnerin, bevor sich ihre Familienplanung konkretisierte. Ihren Mann – einen Amerikaner, dessen Namen sie angenommen hat – kannte sie da schon einige Jahre. Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gab es damals, zu Beginn der 90er Jahre, zu wenige und ihr Mann war beruflich viel im Ausland. Also hieß das für Beate, die nächsten 15 Jahre Hausfrau und Mutter zu sein.

Beim Wiedereinstieg in den Job auf Basis einer halben Stelle standen nun neue Schulungen an, da die Digitalisierung in der Arbeitswelt zwischenzeitlich Einzug gehalten hatte. Immer weniger technisch-kreative Tätigkeiten wurden händisch ausgeführt, immer mehr Computerprogramme kamen ins Spiel – auch beim Grünflächenamt. „Auf all die neuen Programme und Anwendungen hatte ich allerdings keine große Lust. Also hat man mir angeboten, andere Bürotätigkeiten zu übernehmen“, erzählt Störmer-Smith. „Nachdem ich mir die Programme Word und Excel angeeignet hatte, war ich dann unter anderem für die Sozialstunden von Straffälligen oder Schwarzfahrenden zuständig, die oft auf Friedhöfen oder anderen Grünanlagen eingesetzt wurden.“

Nach vier Jahren – wir schreiben inzwischen das Jahr 2010 – schlug das Schicksal dann nochmal zu: Beate Störmer-Smith erkrankte mit knapp 50 Jahren an Brustkrebs. „Das hat mich natürlich total geschockt“, berichtet sie. „Ich hing immer so an meinem Leben, hab mich immer wacker gehalten, und jetzt das…!“ Nach einigen Tagen sei ihr Kampfgeist wieder in der Überhand gewesen und sie habe beschlossen: Das kann es noch nicht gewesen sein! Nach den üblichen Behandlungen wie Chemo und Operationen hat Beate Störmer-Smith den Kampf gegen den Krebs dann tatsächlich gewonnen. In den Job ist sie aber nicht mehr zurück gegangen.

„Krankheiten sind immer ein besonderes Schicksal“, sagt sie heute. „Doch die Schädigungen durch Contergan sind eine besondere Bürde. Es war immer ein Kampf, auch wenn ich ihn vielleicht leichter angenommen habe als andere.“ Ganz klar: Ohne Contergan wäre ihre Berufslaufbahn völlig anders verlaufen. Ob Menschen mit Conterganschädigung eine besondere Resilienz hätten? „Das vielleicht nicht. Aber sie alle haben einen Kampf zu führen, und das schon sehr früh im Leben und an den Scheidepunkten Kindheit, Schule, Partner- und Berufswahl immer wieder.“ Widerstandsfähigkeit und Selbstbewusstsein brauche es in jedem Fall viel. „Und Humor und eine positive Grundeinstellung“, ergänzt sie. Attribute, mit denen Beate Störmer-Smith offenbar ausreichend gesegnet ist. Weshalb sie auch ihren Kindern schon früh mitgegeben hat: „Egal was ist, man muss morgens in den Spiegel sehen und sagen können: Ich liebe dich.“

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