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Individuelle Bedürfnisse erfordern Mitgestaltung der Betroffenen

Bereits 2023 wurden die Verbandspatenschaften durch die Conterganstiftung initiiert. Im Vordergrund dieser Patenschaften steht der direkte Austausch mit den Betroffenen. Sie sind Expertinnen und Experten in eigener Sache und können den Kompetenzzentren helfen, die Weiterentwicklung der Behandlungs- und Versorgungsangebote für Menschen mit Conterganschädigung bedarfsspezifisch zu identifizieren und bei der Umsetzung zu begleiten.
Doch wie gestaltet sich so eine Patenschaft? Wir haben alle Verbandspaten zur Teilnahme an einem Sammelinterview zum Thema „Verbandspatenschaft mit einem Kompetenzzentrum“ angefragt. Erfreulicherweise war die Bereitschaft hoch. Die Antworten der Landesverbände in alphabetischer Sortierung können Sie im folgenden Interview nachlesen. Dieses wird aufgrund der Länge in zwei Teile unterteilt.

Eine Übersicht der geförderten Kompetenzzentren finden Sie hier.

 

Welchen Mehrwert bringt das medizinische Kompetenzzentrum der Conterganstiftung in Ihrer Region den Menschen mit Conterganschädigung?

LV Bayern: Die medizinischen Kompetenzzentren bieten für Menschen mit Conterganschädigungen einen erheblichen Mehrwert. Sie tragen zu einer besseren medizinischen Versorgung bei, fördern die Vernetzung und stellen spezialisiertes Wissen bereit.

Das Krankenhaus Rummelsberg ist insbesondere auf Diagnostik und Beratung spezialisiert. Dabei wird im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungsansatzes, der verschiedene Therapieformen einbezieht, auf die spezifischen gesundheitlichen Bedürfnisse der Betroffenen eingegangen. So werden in Abstimmung mit Angehörigen, Betreuern und niedergelassenen Ärzten notwendige Untersuchungen durchgeführt, ein Therapieplan erstellt und optimierte Heil- und Hilfsmittelversorgung gewährleistet.

Im Heilbad Krumbad liegt der Fokus auf stationären und ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen sowie auf physiotherapeutischen Angeboten in einer Wohlfühlumgebung, sowohl für Einzelpersonen als auch für Gruppen – das angeschlossene Hotel bietet Zimmer mit Dusch-WC und anderen Einrichtungen für Betroffene, die auf unsere Anregung hin eingerichtet wurden, sodass sich der Aufenthalt barrierefrei gestalten lässt

Diese Zentren ermöglichen somit eine gesamtheitliche Versorgung, die auf die individuellen Einschränkungen und Herausforderungen von Menschen mit Conterganschädigungen zugeschnitten sind.

 

LV Berlin-Brandenburg: Wir vom Landesverband Berlin-Brandenburg sind vom Kompetenzzentrum Johannesbad Raupennest in Altenberg begeistert.

Zu Beginn der Förderung als multidisziplinäres medizinisches Kompetenzzentrum haben wir, der Vorstand vom Conterganverband Berlin-Brandenburg e. V., gemeinsam mit dem Vorstand des Contergangeschädigten Hilfswerk Landesverband Bayern das Johannesbad Raupennest besucht und konnten uns hiervon persönlich überzeugen.

Der Mehrwert, neben der vielfältigen Rehabilitationsmöglichkeit, liegt in den sehr gut behindertengerecht umgebauten und top ausgestatteten Patientenzimmern. Auch mit einem Rollstuhl sind die Zimmer gut nutzbar. Lediglich die doch sehr großen Elektrorollstühle würden hier nicht passen.

Die Physiotherapie ist im Raupennest ebenfalls breit aufgestellt, da sie nicht nur klassische Therapieansätze anwendet, sondern auch komplementäre Anwendungen, um eine ganzheitliche Versorgung zu gewährleisten. Man wird hier bei der Behandlung behutsam begleitet. Wir Betroffenen wollen am Ende gewiss nicht mehr Probleme haben als vorher.

 

LV Hamburg: Die Contergansprechstunde an der Schön Klinik Hamburg wurde ursprünglich durch eine gemeinsame Initiative der Schön Klinik und des Hilfswerks für Contergangeschädigte Hamburg e. V. ins Leben gerufen. Die Conterganstiftung hat diese wichtige Einrichtung frühzeitig erkannt, indem sie die Sprechstunde später als medizinisches Kompetenzzentrum im Sinne der Förderrichtlinie anerkannt und gefördert hat.

Das multidisziplinäre medizinische Kompetenzzentrum der Schön-Klinik bietet spezialisierte Diagnostik und Therapie unter Einbindung aller relevanten Fachrichtungen. Durch seine Anerkennung als Zentrum für seltene Erkrankungen und als B-Zentrum im Krankenhausplan Hamburg, ist der Zugang zu hochspezialisierten Verfahren gesichert. Die gestiegene Zahl an Patientenkontakten und Behandlungen, darunter komplexe Operationen, zeigt die anhaltend hohe Nachfrage und den großen Nutzen für die Betroffenen.

 

Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum aus?

LV Bayern: Die Zusammenarbeit mit den Kompetenzzentren gestaltet sich offen, kooperativ und kontinuierlich. Die Zentren werden regelmäßig zu unseren Mitgliederversammlungen eingeladen. Ebenso nehmen wir an Informationsveranstaltungen und Fortbildungen teil, die von den Zentren organisiert oder auch von uns angeboten werden.

Der Austausch findet zudem über regelmäßige Microsoft-Teams-Meetings statt, was einen unkomplizierten und fortlaufenden Dialog ermöglicht. Besonders erfreulich ist, dass wir bei der Planung der neuen Klinik in Rummelsberg aktiv mitwirken können – etwa bei Fragen zur Ausstattung oder zur Gestaltung der neuen Zimmer. Dies unterstreicht, dass unsere Perspektiven und Erfahrungen ernst genommen und in die Entwicklung der Angebote eingebunden werden.

 

LV Berlin-Brandenburg: Das Raupennest ist für uns immer ansprechbar, wenn wir Anliegen haben. Ebenso auch andersherum. Bisher sind keine regelmäßigen Termine geplant. Vielleicht in Zukunft, wenn mehr Betroffene das Kompetenzzentrum und dessen Angebote in Anspruch nehmen.

 

LV Hamburg: Die Zusammenarbeit ist kontinuierlich, offen und von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Als Pate steht der Verband im regelmäßigen Austausch mit dem ärztlichen Team der Sprechstunde, insbesondere zu strukturellen Themen und individuellen Anliegen der Betroffenen.

 

Wie treten die einzelnen Betroffenen mit ihren Anliegen an Sie heran? Wie können Sie Ihre Ideen und Vorstellungen und die der anderen Betroffenen in die Weiterentwicklung der Zentren einbringen?

LV Bayern: Die Betroffenen treten auf vielfältige Weise mit ihren Anliegen an uns heran: per E-Mail, in persönlichen Gesprächen, telefonisch oder über das Netzwerk der Ortsverbände und bei Veranstaltungen des Hilfswerks.

Bei regelmäßigen Gesprächen mit den Kompetenzzentren leiten wir die Rückmeldungen – sei es Lob, Kritik oder Anregungen – direkt weiter. Unsere Lösungsvorschläge werden von den Zentren ernst genommen und, wenn möglich, in die Praxis umgesetzt. Dadurch entsteht ein aktiver Mitgestaltungsprozess, in dem die Bedürfnisse der Betroffenen maßgeblich in die Weiterentwicklung der Zentren einfließen.

 

LV Berlin-Brandenburg: Was wir grundsätzlich unseren Mitgliedern empfehlen, wenn sie ein Kompetenzzentrum besucht haben, ist, dass sie nach der Behandlung mit uns ein Feedbackgespräch führen. Hier können sie uns dann ganz unverblümt ihre Erfahrungen mitteilen, die wir dann an die Zentren aufbereitet weitergeben können.

 

LV Hamburg: Die Kontaktaufnahme erfolgt meist direkt über persönliche Gespräche oder E-Mails. Wir als Verband sammeln Anliegen und Einschätzungen und bringen sie gebündelt in Rückmeldungen an das Zentrum ein. Dabei geht es sowohl um individuelle Probleme als auch um Hinweise zur Verbesserung der Abläufe oder zur Bedarfslage (z. B. wohnortnahe Versorgung, Barrierefreiheit, Kommunikation).

 

Wie schwer ist es, die spezifischen Anforderungen von Menschen mit Conterganschäden als praktisch umsetzbare Empfehlungen zu formulieren, damit die Zentren von Ihrer Expertise profitieren können? Sie müssen schließlich aus einem Ihnen aufgefallenen bzw. angetragenen Bedarf eine Anregung machen.

LV Bayern: Die Formulierung praktisch umsetzbarer Empfehlungen stellt eine große Herausforderung dar, da die Bedürfnisse der Betroffenen äußerst individuell sind. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind persönliche Begegnungen besonders wichtig – zum Beispiel im Rahmen der sogenannten „Physiotage“, wo sich konkrete Bedarfe im direkten Austausch erkennen lassen.

Auch Fortbildungen spielen eine wesentliche Rolle, um das notwendige Verständnis und die Sensibilität für die speziellen Bedürfnisse zu fördern. Vieles lässt sich nicht rein theoretisch oder auf dem Papier erfassen – hier ist Fingerspitzengefühl auf beiden Seiten gefragt.

 

LV Berlin-Brandenburg: Das stimmt, aber wir Betroffenen kennen uns untereinander alle. Wir setzen uns gemeinsam hin und formulieren dann gemeinsam entsprechende Vorschläge.

 

LV Hamburg: Das ist eine Herausforderung, da viele Bedarfe sehr individuell sind. Wichtig ist, aus Einzelbeispielen übergreifende Bedarfe herauszuarbeiten. Dabei hilft der kontinuierliche Austausch mit Betroffenen und Fachleuten. Die klare Kommunikation komplexer Zusammenhänge in eine für das Zentrum umsetzbare Form erfordert Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

 

Wie evaluieren Sie die bisherigen Entwicklungsschritte und wie planen Sie Ihre Empfehlungen für den weiteren Ausbau des Angebots der Zentren?

LV Bayern: Die bisherigen Entwicklungsschritte bewerten wir anhand unserer regelmäßigen Besuche in den Zentren. Dabei beziehen wir auch gezielt die Rückmeldungen der Betroffenen ein, die die Angebote der Zentren nutzen. Diese Rückmeldungen helfen uns, positive Entwicklungen zu erkennen und zugleich Verbesserungspotenziale zu identifizieren.

Unsere Empfehlungen basieren auf diesem kontinuierlichen Dialog. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass sich viele Aspekte nicht standardisieren lassen. Umso wichtiger ist der persönliche Kontakt mit den Zentren. Eine wesentliche Voraussetzung für den langfristigen Erfolg ist dabei die Sicherstellung eines qualifizierten und stabilen Fachpersonals, verlässlicher Ansprechpartner vor Ort sowie die nachhaltige Finanzierung durch die Conterganstiftung.

 

LV Berlin-Brandenburg: Bisher können wir nur positives über das Zentrum und dessen Angebote sagen. Wir haben allerdings auch nur einen Betroffenen aus unserem Verband der dort vor Ort in Behandlung war. Unser Pool an Erfahrungswerten ist demnach noch nicht sehr groß.

 

LV Hamburg: Eine formalisierte Evaluation der Entwicklungen gibt es bislang nicht. Vielmehr beruht unsere Einschätzung auf kontinuierlichen Rückmeldungen von Betroffenen, die ihre Erfahrungen mit der Versorgungssituation, Erreichbarkeit und Qualität der medizinischen Leistungen teilen. Diese Rückmeldungen geben wertvolle Hinweise auf bestehende Stärken, aber auch auf Verbesserungspotenziale.

Eine tragfähige Weiterentwicklung der Zentren – etwa mit Blick auf Ausbau, Spezialisierung oder Verlässlichkeit der Angebote – ist jedoch nur mit einer langfristigen Sicherung qualifizierten Fachpersonals möglich. Das betrifft insbesondere ärztliche Spezialistinnen und Spezialisten mit Erfahrung in der Behandlung komplexer Fehlbildungen. Eine solche strukturelle Stabilisierung sollte unbedingt bei der Überarbeitung der Förderrichtlinie geprüft werden, um bei Möglichkeit Eingang in der Neufassung zu finden.

 

Wo sehen Sie ggf. Möglichkeiten der Verbesserung oder Intensivierung der Zusammenarbeit?

LV Bayern: Verbesserungspotenzial besteht insbesondere in der Verstetigung und Intensivierung des Austauschs zwischen den Paten, den Kompetenzzentren und der Conterganstiftung. Regelmäßige Gespräche und Begegnungen sind essenziell, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Nur durch diesen kontinuierlichen Dialog können Bedürfnisse frühzeitig erkannt und passgenaue Lösungen gemeinsam entwickelt werden.

 

LV Berlin-Brandenburg: Momentan passt die Zusammenarbeit auf Zuruf für uns. Dennoch werden wir uns für dieses Jahr noch einmal vornehmen, dass wir das Johannesbad Raupennest in Altenberg noch einmal besuchen.

 

LV Hamburg: Die Einführung regelmäßiger Feedbackformate zwischen Zentrum und Verbandspaten könnte helfen, systematischer und strukturierter Einfluss zu nehmen. Auch ein gemeinsamer Blick auf offene Förderfragen (z. B. Registerfinanzierung) und der Einbezug internationaler Erfahrungen wären sinnvoll. Mögliche Verbesserungen können nur durch eine harmonische Zusammenarbeit aller Akteure realisiert werden. Das schließt natürlich den Austausch mit der Conterganstiftung im Sinne eines kontinuierlichen Trialogs mit ein.

 

 

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