Die Karrikatur zeigt die Evolution von Menschen mit Behinderung

„Man muss nicht betroffen sein, aber man sollte Ahnung haben. Nur dann kann es gut werden.“

Der Cartoonist Phil Hubbe über seine Arbeit, die eigene MS-Erkrankung, seine Freundschaft zu dem Contergangeschädigten Matthias Berg und den jüngst erschienenen achten Band seiner „Behinderten Cartoons“.    

Ein Mann ohne Arme liegt erschossen auf dem Boden, hinter ihm zwei Polizisten. Der eine fragt den Kollegen, ob das sein musste. Der bejaht, schließlich sei der Verfolgte der Aufforderung „Hände hoch!“ nicht nachgekommen. Bitterböse und überzogen einerseits, in seiner Tragik grotesk und daher auch witzig. So sind viele der „Behinderten Cartoons“ von Phil Hubbe. In knapp drei Jahrzehnten hat sich der Magdeburger einen Namen gemacht. Fast täglich erscheinen seine Zeichnungen in Zeitungen und auf Websites, illustrieren Broschüren oder sind bei Ausstellungen zu sehen. CIP hat mit dem 55-jährigen Karikaturisten gesprochen.

 

Herr Hubbe, was ist ein „behinderter Cartoon“?

Es ist ein Wortspiel, das ganz gut zusammenfasst, worum es geht. Um die Thematik, die meine Cartoons betreffen: die Welt der Menschen mit Behinderung. Die Cartoons selbst sind natürlich nicht behindert.

 

Sie würden also von sich weisen, dass man über Behinderungen nicht lachen darf?

Ja, das würde ich definitiv. Offenbar sehen es auch die betroffenen Menschen so. Sie geben mir recht, man kann und darf darüber lachen. Es ist ja nicht so, dass ich mich über die Menschen oder ihre jeweilige Behinderung selbst lustig mache. Es sind eher die Situationen, in die sie geraten. Etwa wenn eine Behinderung auf vermeintlich Normales trifft. Das reicht vom banalen Witz bis zum hintergründigen Lacher, der auf einer anderen Ebene funktioniert.

Kritik und Widerspruch sind dennoch wichtig. Wenn das, was ich mache, allen immer gefällt, mach ich was falsch. Was ich allerdings nicht mag, ist, wenn es heißt: Das macht man nicht. Damit kann ich nichts anfangen. Man sollte sich nicht vorschreiben, was „man“ macht.

 

Wie wurden die Cartoons zu Ihrem Lebensinhalt und -unterhalt?

Ich bin seit den frühen 90ern selbstständiger Cartoonist und Zeichner. Als ich anfing, war ich mir noch nicht sicher, was ich mir erlauben kann. Darf ich einen Witz über Rollstuhlfahrer machen, ohne selbst einer zu sein? Ich habe daher erst mal getestet, was Betroffene davon halten. Die allermeisten waren begeistert, hatten sogar Tipps und eigene Ideen. So hat sich das entwickelt, und ich habe immer mehr zu meinem Stil gefunden.

 

Gab dabei auch Ihre eigene MS-Erkrankung den Ausschlag?

Ja, auch. Definitiv. Die Erstdiagnose Multiple Sklerose bekam ich gerade, als ich mein Mathe-Studium aufgegeben hatte, um Grafiker zu werden. Eine Inspiration war sicherlich der US-Amerikaner John Callahan, der in den 1990er Jahren im Magazin New Yorker die ersten Cartoons mit dem Thema Behinderung veröffentlicht hatte. Da gab es zunächst einen großen Aufschrei, wie man denn so etwas bloß machen könne. Aber er selbst saß nach einem Unfall querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Sein Punkt war immer: Ich weiß, wovon ich rede bzw. zeichne. Dieser Ansatz hat meine eigene Motivation gestärkt und so habe ich, auch ermutigt durch Freunde, angefangen, meine eigene Erkrankung zu thematisieren. Das Entscheidende ist, dass man sich auskennt, dass man eben weiß, worüber man schreibt, redet oder eben zeichnet. Nur dann kann es gut werden. Man muss nicht zwingend selbst betroffen sein. Aber man sollte Ahnung davon haben.

 

Und so ist die Figur „MS Rainer“ entstanden, von dem es ja ganze Comic Strips gibt?

Ich wurde gefragt, ob ich selbst dieser MS Rainer sei. Von da an hat sich die Figur immer weiterentwickelt. Mit ihm als Hauptfigur ist ja dann sogar ein ganzer Band der „Behinderten Cartoons“ entstanden.

 

MS Rainer sitzt im Rollstuhl. Nicht alle Krankheiten oder Behinderungen lassen sich leicht in Zeichnungen darstellen.

Der Rollstuhl ist Sinnbild für die körperliche Behinderung an sich. Auch, wenn man mir das auch schon zum Vorwurf gemacht hat, dass es weit mehr gibt als Rollstühle, ohne diese Stereotypen und Überzeichnungen kommt man nicht aus. So hat der Blinde die schwarze Sonnenbrille und die drei Punkte am Arm – obwohl kein Blinder mehr so herumläuft – eine Gehbehinderung zeigt man mit einer Krücke usw. Unter meinen Fans sind auch Gehörlose, die schon angemerkt haben, dass ich sie immer mit Hörrohr darstelle. Okay. Aber wie soll ich es sonst machen? Ein modernes Hörgerät sieht man nicht. Auch psychische Erkrankungen sind schwer darzustellen. Das geht nur über Sprechblasen oder die Kulisse. Es muss halt schnell erfassbar sein. Die Grenzen, was ist Behinderung, was ist Krankheit, wer gilt als „behindert“ und wer warum nicht, die sind zudem fließend.

Es kommt auch vor, dass Betroffene die Kritik geäußert haben, über ihre Erkrankung oder Behinderung gäbe es noch nichts, ich solle mal machen. Das ist dann die schönste Kritik für mich. Eine Form der Inklusion, so gesehen: Auch über uns soll es Witze geben!

 

Eine schöne Überleitung. Der kürzlich erschienene 8. Band „Behinderte Cartoons“ heißt „Zeugen der Inklusion“. Inwiefern sind Sie selbst ein solcher Zeuge?

Einmal kriege ich eine Menge mit, weil ich ja selbst MS habe. Oft wundern sich die Leute, dass ich nicht im Rollstuhl sitze. Meine Arbeiten werden häufig für das Thema Inklusion genutzt. Etwa, um auf witzige Art auf ein Problem aufmerksam zu machen. Ich kann zeigen, was zum Thema getan wird und was vor allem noch zu tun ist.

Vom Komödiantischen her: Wo finden wir denn was, das nicht auch zum Lachen wäre?! Das fängt schon mit dem Wort „Inklusion“ an. Der Begriff ist total schwammig, jeder stellt sich was anderes darunter vor. Es ist ein Begriff, der politisch und gesellschaftlich sicher gut gemeint ist, aber eben sehr viel Komisches hervorbringt. Gut für meine Arbeit.

 

Zu ihren Fans gehört Matthias Berg, ein Mensch mit Conterganschädigung. Wie kam es zu Ihrer Freundschaft?

Matthias und ich haben vor fast 20 Jahren an einer gemeinsamen Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Bad Boll teilgenommen, bei der ich einige Cartoons ausgestellt habe. Bei einer Talkrunde, wo Matthias als Musiker geladen war, haben wir uns dann kennengelernt. Matthias war sehr angetan von den Zeichnungen, und so sind wir ins Gespräch gekommen. Danach blieb der Kontakt bestehen und es ist eine Freundschaft entstanden. Er nutzt bei seinen eigenen Veranstaltungen Arbeiten von mir und hat schon eine Ausstellung damit in Baden-Württemberg eröffnet. Wir sehen uns zwar leider selten persönlich. Umso schöner war es, dass er trotz Corona hierherkam und mit mir zusammen die Buchvorstellung zum neuen Cartoon-Band per Live-Stream gemacht hat.

 

Sie haben auch gemeinsam für das ZDF gearbeitet.

Genau. Matthias war damals Kommentator bei den Paralympics in Peking 2008 und hatte vorgeschlagen, dass ich für den Online-Auftritt Cartoons machen sollte. Das Besondere war, dass die Zuschauer gebeten wurden, die Sprechblasen auszufüllen. Dabei sind sehr schöne Ergebnisse herausgekommen. Es kam so gut an, dass im Zuge dessen die Sportredaktion des ZDF auch unabhängig von den Paralympics auf mich zukam. Das sind so Sachen, die ich mit Matthias verbinde und ihm verdanke.  

 

Spielt das Thema Contergan in den Cartoons konkret eine Rolle?

Es gibt Cartoons mit kurzarmigen Menschen oder Menschen ohne Arme bzw. Beine. Einmal gab es eine Ausstellung mit der Rubrik „Ohne Arme Cartoons“, da konnte ich einiges zu beisteuern. Was die Ursache für die Arm- oder Beinlosigkeit ist, bleibt offen und spielt für den Witz oder das Verständnis der Zeichnung keine Rolle. Es geht immer um die Situation dieser Menschen.

 

Gibt es Tabuthemen für Sie?

Wahrscheinlich nicht. Ich bewege mich in dem Rahmen, in dem ich mich auskenne. Ich überlege allerdings sehr oft, ob ich das oder das jetzt tatsächlich bringen kann. Wenn ich mir unsicher bin, zeige ich es rum oder poste es auf Facebook und bin oft erstaunt, was die Leute darin sehen. Manchmal ist meine Befürchtung völlig unbegründet. Manchmal steigern sich die Menschen auch sehr hinein. Doch wie eingangs gesagt, ich mache mich nicht über Menschen oder deren Behinderung lustig.

 

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?

Ich lebe und arbeite seit fast 30 Jahren als freischaffender Künstler. Insofern habe ich durchaus Glück gehabt, trotz meiner MS-Erkrankung meine Leidenschaft zu meinem Beruf gemacht zu haben. Von daher hoffe ich, dass es noch möglichst lange so bleibt. Ich lebe mit der Krankheit und weiß nicht, was sie noch mit mir vorhat. Ich brauche meine Arme und Hände. Wenn ich anfangen würde zu zittern, wäre das schlecht.

 

Und für uns alle?

Dass wir immer über alles lachen können und auch dürfen.

 

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Webseite des Cartoonisten Phil Hubbe