Symbolbild eines Seminarraums ohne Menschen

Kontroverse Debatten auf Augenhöhe

Die Protokolle der Stiftungsratssitzungen werden mit zeitlichem Versatz vorgelegt und hier im CIP veröffentlicht. Ab sofort berichten wir zeitnah vorab des Protokolls über die 114. Sitzung des Stiftungsrates und beleuchten einige der dort behandelten Themen in einer Zusammenfassung.

 

„Nichts über uns ohne uns“

 

Große Überraschungen gab es zwar nicht bei der jüngsten Sitzung des Stiftungsrates in Köln. Allerdings wurde über einige Themen durchaus kontrovers und engagiert diskutiert. Der Vorstand der Conterganstiftung und sein Kontrollgremium begegneten sich dabei auf Augenhöhe. Entsprechend verliefen die Debatten themen- und lösungsorientiert. Der Anspruch, entnommen aus der Behindertenrechtskonvention, dass „nichts über uns ohne uns“ besprochen und beschlossen werden sollte, wurde dabei immer wieder von der Betroffenenvertretung vorgebracht.

 

So zum Beispiel beim Thema Expertinnen- und Expertenkommission. Diese nimmt nun ihre Arbeit auf und soll am Ende einer zweijährigen Arbeitsphase einen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorlegen. Die Betroffenenvertreter im Stiftungsrat, Christian Stürmer und Bettina Ehrt, stellten den Antrag, einer „höhergradigen Einbeziehung der Betroffenenvertretungen“ im Gremium. Konkret sei der zweite Vorsitz alternierend mit Betroffenenvertreterinnen und -vertretern zu besetzen. Es müsse gewährleistet sein, mehr spezifische Betroffenen-Expertise auf Leitungsebene zu haben, um nicht „an den Betroffenen vorbei“ zu agieren. Hintergrund war die Neubesetzung der Position nach dem Wegfall von Prof. Dr. Andreas Kruse.

Zur Entkräftung dessen wurde angemerkt, dass der 2. Vorsitz zum einen sehr kompetent besetzt sei (der neuberufene Dr. Niklas Lenhard-Schramm ist Medizinhistoriker, gut mit der Klientel vernetzt und nicht zuletzt in der Contergan-Thematik umfassend sachkundig). Zum anderen besäßen die Kommissionsvorsitzenden in erster Linie eine moderierende, steuernde Funktion. Drei Betroffene gehören außerdem der Kommission als „Expertinnen und Experten in eigener Sache“ an. Der Antrag wurde abgelehnt und Herr Dr. Lenhard-Schramm somit als 2. Vorsitzender bestätigt.

 

Vorstandsbericht und Aussprache

 

Nach der Vorstellung und den Erläuterungen zum laufenden Haushaltjahr und dem Ausblick auf das kommende Jahr sowie den Vergabeplan 2024/25 war der Bericht des Stiftungsvorstands einer der zentralen Tagesordnungspunkte. Der Vorstandsvorsitzende Dieter Hackler führte in den relevanten Punkten die laufende Arbeit der Conterganstiftung bzw. der Geschäftsstelle auf. Demnach sei das Planziel der Berufung von zehn geförderten multidisziplinären medizinischen Kompetenzzentren in diesem Jahr erreicht worden und die lange vorbereitete Gefäßstudie sei erfolgreich und unter reger Beteiligung der betroffenen Probandinnen und Probanden angelaufen.  

Seit September 2023 hat die Geschäftsstelle mit Katja Held eine neue Leiterin. Es sei zu erwarten, dass die durch langwierige Erkrankungen vakant gewordenen Stellen ab 2024 wieder komplett besetzt sein würden, so Hackler weiter. Eine Ergänzung durch neues Personal oder gar eine Neubesetzung sei daher nicht notwendig. In diesem Zusammenhang betonte der Vorstandsvorsitzende, dass die Personalsituation sich nicht negativ auf laufende Prozesse ausgewirkt habe und lobte das Personal der Geschäftsstelle ausdrücklich, durch hohes Engagement und Mehrarbeit die Ausfälle weitestgehend kompensiert zu haben.

Für die Einrichtung eines Patientenregisters, wie im Zuge der Berufung der Kompetenzzentren als Idee diskutiert, zeige sich die Stiftung offen. Allerdings läge bislang kein entsprechender Projekt- oder Förderantrag vor. Eine nachträgliche Förderung sei von den Statuten her nicht möglich, führte Hackler weiter aus. Der geplante Tagesordnungspunkt zum Thema Patientenregister war auch bereits zuvor auf Antrag der Betroffenenvertretung auf die nächste Sitzung kommenden Mai verlegt worden.

Positiv berichtete Hackler über den sehr guten und konstruktiven Austausch mit den Interessenvertretungen, dem Bundesverband Contergangeschädigter und der Politik. Im Besonderen seien hier die Gespräche mit Betroffenen in Brasilien zu nennen. Durch Online-Meetings seien hier viele Missverständnisse ausgeräumt und Barrieren abgebaut worden. Ebenso habe sich der Austausch mit Betroffenen, die gehörlos sind, sehr verbessert. Dies erwähnte Hackler auch im Hinblick auf die Nutzungsmöglichkeiten der Kompetenzzentren für Gehörgeschädigte. Hierzu stünden inzwischen die VAMED-Rehakliniken Bad Berleburg (NRW) und Bad Grönenbach (Bayern) mit dem Netzwerk in Verbindung.

 

Die Sache mit dem Parken

 

Auch die Anregung der Betroffenenvertretung, Kfz-Besitzerinnen und -Besitzern mit Conterganschädigung einen blauen Behinderten-Parkausweis auszustellen, wurde diskutiert. Bettina Ehrt regte an, Betroffene mit höheren Schadenspunkten zu berücksichtigen. Es gäbe viele Betroffene, die aufgrund ihrer Conterganschädigung auf kurze Wege zwischen Fahrzeug und Ziel angewiesen seien. Die üblichen Parkausweise erhalten bislang lediglich stark Gehbehinderte, was nur auf einen Teil der Betroffenen zuträfe. Andere orthopädische und vor allem innere Schädigungen würden hier nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl auch diese zunehmend Probleme bei weiten Fußwegen mit sich brächten. Der Rat beschloss, dass die Conterganstiftung unter inhaltlicher Mitwirkung von Frau Ehrt hierzu ein Schreiben an die Verkehrsminister-Konferenz verfasst, um das Problem vorzutragen.

Beschlossen wurde ferner, dass es im Contergan-Infoportal einen Hinweis auf die Leistungen der Grünenthal-Stiftung geben soll und wie diese von Betroffenen genutzt werden können.

 

Die Teilnehmenden der 114. Stiftungsratssitzung

Stiftungsrat: Andreas Schulze (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend),, Torsten Einstmann (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, i.V. von Bärbel Kroll), Diana Claudia Wesche (Bundesministerium der Finanzen, i.V. von Dr. Jürgen Ehler), Bettina Ehrt (Betroffenenvertreterin), Christian Stürmer (Betroffenenvertreter)

BMFSFJ: Dr. Christine Stüben (Leitung Referat 302 Conterganstiftung, Conterganstiftungsgesetz)

Stiftungsvorstand: Dieter Hackler (Vorsitzender), Margit Hudelmaier, Heinz-Günter Dickel

Geschäftsstelle der Conterganstiftung: Katja Held (Leiterin Geschäftsstelle), Hanna Göser (Referentin Leistung, Haushalt, Vermögen), Christoph Umlau (Öffentlichkeitsarbeit, Organe, Gremien/Protokoll)

Die Sitzungen des Stiftungsrates finden zweimal jährlich abwechselnd in Berlin in Köln statt. Die 115. Sitzung wird 2024 in Berlin stattfinden. Hier finden Sie die Protokolle der zurückliegenden Sitzungen. 

 

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