Wenig Feedback, aber konkrete Hinweise

Zu Anfang des Jahres hat die Conterganstiftung diejenigen Interessenverbände, die das Beratungsangebot in der Vergangenheit für ihre Mitglieder in Anspruch genommen haben, per Umfrage zu ihren Erfahrungen befragt. Dazu wurde ein kurzer Fragebogen verschickt mit Bitte um Beantwortung und Rückmeldung bis Ende Januar. Nach Ablauf dieser Frist waren lediglich zwei Rückmeldungen eingegangen. Darunter das Statement von Frau Jutta Sattler (Contergangeschädigte Hessen e.V.), das zügig und ungekürzt Anfang Februar (hier) veröffentlicht wurde.

Auf erneute Nachfragen sind in der Folge weitere Antwortschreiben eingegangen. Um ein transparentes Meinungsbild aus dem Kreis der Betroffenen abzubilden, veröffentlichen wir nun alle eingegangenen Antworten

  • des Landesverbands Contergangeschädigter Baden-Württemberg e.V.,
  • des Interessenverbands Contergangeschädigter Nordrhein-Westfalen e.V.,
  • des Hilfswerks für Contergangeschädigte e.V. Hamburg (HICOHA) sowie
  • Beiträge von Frau Ehrt (Medizinische Beirätin des Hilfswerks für Gliedmaßengeschädigte Bayern e.V., Betroffenenvertreterin im Stiftungsrat) und
  • Herrn Stürmer (Contergannetzwerk Deutschland e.V., Betroffenenvertreter im Stiftungsrat)

nach Fragen geordnet und ungekürzt.

Anzumerken ist, dass die älteren Reaktionen den Anfragen-Schwerpunkt Covid-19 noch nicht beleuchtet haben, da dieser im Beratungsbereich erst im Laufe des Frühjahrs an Relevanz gewann. 

 

1. Die Conterganstiftung bietet über ihren Beratungsbereich im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Hilfen bei sozialrechtlichen Fragestellungen an. Wie bewerten Sie dieses Angebot aus Verbandssicht?

HICOHA: Wir halten ein derartiges Angebot für gut und sinnvoll. Wichtig ist es, dass dieses
Angebot nicht statisch bleibt, sondern hinsichtlich der Bedarfe der durch Contergan geschädigten Menschen erweitert und angepasst wird.

LV BW: Der LV Ba-Wü begrüßt das Beratungsangebot der Stiftung, da dort zu den behinderungsspezifischen Themen breites Wissen erarbeitet wurde, welches beständig erweitert wird und den Anfragenden mit aktuellem Stand zur Verfügung steht.

Frau Ehrt: Ich beantworte die Fragen in meiner Rolle als Betroffenenvertreterin der Conterganstiftung, die viele Beratungsanfragen von Betroffenen erhält und mit der Erfahrung aus ca. seit 10 Jahren Tätigkeit als medizinische Beirätin im bayrischen Landesverband. Leider passt der gegenwärtige rechtliche Rahmen nicht gut zu den Bedarfen der Betroffenen. Es wird weniger ein Lotse gebraucht als eine umfassendere Begleitung. Auch eine wohnortnahe Betreuung wäre sehr sinnvoll. Zum einen ist gerade das Behindertenrecht sehr föderal reguliert, zum anderen hätten die Berater umfassendere Kenntnisse von den Versorgungsstrukturen am Wohnort der Betroffenen.

Außerdem gibt es Datenschutzprobleme.  Diese werden derzeit dadurch gelöst, dass im Beratungsbereich keine Akten angelegt werden. Das darf nur eine vorläufige Lösung sein, weil die Beratungsqualität darunter natürlich massiv leiden muss.

Herr Stürmer: Das Contergannetzwerk Deutschland e.V. hat seinerzeit der Politik empfohlen, dass die Conterganstiftung auch Beratungen durchführt. Wir freuen uns, dass das auch umgesetzt wurde.  Es ist eine sinnvolle Ergänzung zu unserer Verbandsarbeit, weil die Geschädigten hierdurch die Möglichkeit haben zusätzliche Expertise zu bekommen.

 

2. Gibt es ein konkretes Feedback zum Beratungsspektrum und zur Beratungsqualität aus dem Kreis der Mitglieder? Wie fällt dieses aus?

HICOHA: Konkrete Fragestellungen von Betroffenen, wie z.B. bei der Rechtsberatung oder sozialmedizinischen Beratung, können seitens der Stiftung nur sehr allgemein und nicht individuell beantwortet werden. Zudem darf eine Beratung der Stiftung nicht dort gespeichert werden. Sodass bei einer Nachfrage nicht auf vorherige Fakten aufgebaut werden kann. Der Vorgang beginnt von Neuem.

LV BW: Wie bereits erwähnt, gibt es selten ein Feedback. Dies hat unterschiedliche Gründe. Zum einen möchte man nicht erzählen, zu welchem Thema man sich hat beraten lassen und zum anderen ist es schlichtweg Gedankenlosigkeit, sich noch einmal zu melden.

In meiner Doppelfunktion (Vorsitzende des LV BaWü, Vorstandsmitglied der Stiftung) bin ich oft auch nicht der gewünschte Ansprechpartner. Allerdings erfahre ich durch Erzählungen über Dritte, dass den Anfragenden bei der Stiftung weitergeholfen wurde und sie sehr zufrieden waren.

LV NRW: Es bestehen große Vorbehalte gegen die Mitglieder der Stiftung und die Hemmschwelle für eine Kontaktaufnahme ist sehr hoch. Es sind weitere Beratungsangebote vorhanden, z.B. LV-NRW, die genutzt werden und das Vertrauen genießen.

Frau Ehrt: Das Beratungsteam wird von den meisten Betroffenen, die eine Anfrage gestellt haben, als freundlich und engagiert erlebt. Die Recherchen sind, aus meiner Sicht (keine Juristin), gründlich. Die Beratenden legen, aus meiner Sicht, den gesetzlichen Rahmen weit aus und können so die Defizite der gesetzlichen Lage ein Stück weit ausgleichen.

Herr Stürmer: Uns ist nichts Negatives bekannt. Vielfach wurde durch den Beratungsbereich wichtige Hilfe geleistet.

 

3. Seit der Einführung des Beratungsbereiches im Jahr 2017 steigen die Beratungsanfragen kontinuierlich an, sowohl die Anzahl der Anfragen als auch die Zahl der Beratungsthemen. Wie bewerten Sie den Beratungsbedarf bei Ihren Mitgliedern?

HICOHA: Der Beratungsbedarf innerhalb unserer Mitgliedergemeinschaft scheint eher sporadischer Natur. Aktuell geht es um die Frage der Covid-19 Impfung. Wir bekommen seitens unserer Mitglieder nur selten ein Feedback zu den individuell und persönlich geführten Beratungsgesprächen.

LV BW: Gegenseitiger Erfahrungsaustausch und Beratung waren schon immer wichtige Themen in den Verbänden. So unterschiedlich wie Menschen und ihre Lebenssituationen sind, sind die entsprechenden Beratungsbedarfe. Im Moment bietet die Stiftung bereits ein facettenreiches Angebot an Beratungsthemen. Ich bin überzeugt, dass es sicher noch weitere Themen geben kann bzw. es derzeit noch nicht absehbar ist, welche Themen sich in Zukunft noch auftun werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich das Angebot mit den Anfragen weiterentwickelt, soweit der gesetzl. vorgegebene Rahmen nicht überschritten wird. Dies stößt bei den Betroffenen gelegentlich auf Unverständnis.

LV NRW: Der Beratungsbedarf ist vorhanden und hoch. In vielen Fällen ist aber eine Begleitung erforderlich.

Frau Ehrt: Der Bedarf ist hoch und sehr vielfältig.

Herr Stürmer: Der Beratungsbedarf ist sehr hoch und umfasst sehr viele Lebensbereiche.
 

 

4. Ist das Beratungsspektrum aus Ihrer Sicht ausreichend oder müsste es ausgebaut werden?

HICOHA: Wie oben erwähnt – das Angebot und die Bedarfe sind nicht statisch. „Ausreichend“ hängt von der Entwicklung der Bedarfe und der weiteren Anfragen ab. Wir gehen davon aus, dass ein Ausbau ständig notwendig sein dürfte.

LV BW: s. Antwort Frage 3. Aus meiner Sicht wäre es wünschenswert, dass sich die Betroffenen konstruktiv an dem Ausbau des Angebots beteiligen und sehr genau formulieren, was konkret noch vorgehalten werden soll. Die räumliche Entfernung ist sicher mit problematisch. Man kann eben nicht gerade mal einen Termin vereinbaren und sich persönlich vor Ort beraten lassen.

Auch wenn die derzeitige Pandemie für viele problematisch ist, entstehen aus der Situation evtl. neue Ideen. Der Beratungsbereich könnte prüfen, ob evtl. eine Beratung per Videokonferenz abgehalten werden kann. Da die Mitarbeitenden den Betroffenen überaus zugewandt sind und sie in Beratungssituationen eine möglichst maßgeschneiderte Lösung anbieten, werden sie mit Sicherheit an diesem Thema arbeiten und Lösungen anbieten.

LV NRW: Das Beratungsangebot ist nicht ausreichend. Einen Ausbau finde ich nicht gut - diese Kapazitäten sollten in die LV oder andere Beratungseinrichtungen verlagert werden.

Frau Ehrt: Die Art der Expertise der Mitglieder des Beratungsteams ist mir derzeit nicht hinreichend bekannt. Daher kann ich zum Ausbau des Angebotes keine qualifizierte Aussage treffen.

Herr Stürmer: Die Hilfsmittelberatung sollte ausgebaut werden, insbesondere sollte geprüft werden, ob man Videos auf der Homepage einstellt. Hierbei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass auch Hörgeschädigten mit Gebärdenspracheübersetzung bzw. in leichter Sprache mit einbezogen werden.

 

5. Wenn ja, um welche Themenbereiche? Und warum sind diese Themen aus Ihrer Sicht so wichtig?

HICOHA: Die Antworten auf diese Frage müsste sich unseres Erachtens aus den bisherigen und künftigen Anfragen der Betroffenen an den Beratungsbereich ableiten lassen. Ggf. ist es sinnvoll, Gebärdensprachdolmetscher hinzuzuziehen und Video-Beratungen statt „Telefon pur“ anzubieten.

LV BW: Ich bin mir nicht sicher, ob es den Betroffenen tatsächlich um die Erweiterung des Beratungsangebots als vielmehr um die Ausweitung der Dienstleistung geht. Viele haben die Vorstellung/den Wunsch z. B. die Beschaffung eines Hilfsmittels vollständig ohne eigenes Zutun in die Verantwortung der Stiftung zu geben. 

Hinweis: Um das Beratungsanbot auch gehörlosen Mitbetroffenen zugänglich zu machen, werden nach Absprache Gebärdendolmetscher zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot wurde von Mitbetroffenen massiv eingefordert, aber bis dato leider noch nicht in Anspruch genommen.

LV NRW: Es besteht ein Beratungsbedarf speziell beim Thema Antrags- und Widerspruchsverfahren im Sozialrecht (Arbeitsamt, Rentenversicherung, Krankenkasse, Sozialamt und Pflegekasse) inkl. einer Begleitung im Antragsverfahren und der Formulierung von Widersprüchen, Antrags- und Widerspruchverfahren gegenüber der Stiftung inkl. einer Begleitung im Antragsverfahren und der Formulierung von Widersprüchen, Auffinden von geeigneten Ärzten, Therapeuten und REHA-/Kliniken in meiner Umgebung oder überhaupt Fragestellungen um den Alltag der Menschen und dem Ausgleich ihrer Einschränkungen und Defiziten, Vermittlung von Aufqualifizierungsangeboten für Ärzte und Therapeuten.

Frau Ehrt: Wichtig sind unerwartete Themen, wie jetzt das hervorragende Engagement bei der Durchsetzung der Impfpriorisierung der Geschädigten, für das ich sehr dankbar bin. Nach meiner Erfahrung ist intensive Begleitung notwendig, wenn sich beispielsweise ein bislang autonom alleinlebender betroffener Mensch unvorhergesehen seine Lebensbedingungen massiv verändern muss, wesentlich höheren Pflege- und Assistenzbedarf hat, die Wohnsituation verändern muss. Weiterhin selbstbestimmt leben zu können, lässt sich von der Kurzzeitpflege aus kaum organisieren.

Herr Stürmer: Alles was behinderungsspezifisch wichtig ist, sollte den Beratungsbereich umfassen - alle Informationen in Gebärdensprache, bzw. in leichter Sprache. Hierbei sind auch sozialrechtliche Fragen interessant, wie zum Beispiel die Themen Renten und Krankenkasse.

 

6. Der Beratungsbereich hat in der Vergangenheit regelmäßig Beratungsbedarfe bei den Verbänden abgefragt. Stehen Sie in diesen Fragen in einem Austausch mit der Stiftung?

HICOHA: Wir standen in der Vergangenheit mit der Stiftung mehrfach im Kontakt, so z.B. auch über die Einladung zu unseren Mitgliederversammlungen, in denen dieses Thema auch besprochen wurde.

LV BW: Der LV Ba-Wü steht in regem Austausch zur Stiftung. Der Beratungsbereich hat sich auch auf der Mitgliederversammlung präsentiert. Das Angebot wurde seitens der Mitglieder begrüßt.

Frau Ehrt: Ja, als Betroffenenvertreterin.

Herr Stürmer: Nein! Wir wurden bisher nicht mit einbezogen.

 

7. Was möchten Sie dem Beratungsbereich der Conterganstiftung darüber hinaus noch mit auf den Weg geben?

HICOHA: Ein offenes Ohr für die Belange der Betroffenen, Lösungsorientiertheit, reale Hilfestellungen, technische Aufrüstung (z.B. Videokonferenz, Gebärden etc.).

LV BW: Die Mitarbeitenden sind durchweg den Betroffenen und ihren Anliegen sehr zugewandt und erarbeiten umfassende Beratungshilfen, die nur von den Ratsuchenden auf eigene Briefköpfe übertragen werden müssen. Derartige dezidierte individuell zugeschnittene Informationen wird keine andere Beratungsstelle für contergangeschädigte Menschen vorhalten (können), da die rechtl. Sonderstellung der Betroffenen anderen Berater und Beraterinnen kaum bekannt ist.

Die Mitarbeitenden ermutige ich, sich auf dem begonnenen Weg weiter fortzubewegen und empfehle ihnen, sich als "Salz in der Suppe zu sehen", denn die Mischung scheint ja zu stimmen und müsste/könnte evtl. noch leicht „nachgewürzt“ bzw. nachjustiert werden.

Frau Ehrt: Es ist wahrscheinlich nötig, in manchen Fragen externe Expertise beizuziehen. Eine Vertiefung der Kooperation mit den verschiedenen Betroffenenverbänden ist sicher sinnvoll. Hier haben viele Betroffene jahrzehntelange Erfahrung mit unseren Belangen, müssen aber allmählich aus Gesundheitsgründen ihr Engagement reduzieren. 

Herr Stürmer: Wir bedanken uns für die Arbeit im Beratungsbereich und wünschen uns einen besseren Austausch miteinander. (Die vorstehenden Auskünfte stammen nicht nur vom Vereinsrat des Contergannetzwerkes Deutschland e.V., sondern gelten zugleich auch für den Betroffenenvertreter Christian Stürmer.)