Das Bild zeigt die Ärtzin Celina von Tiele-Winckler

„Das Vorwissen über Contergan spielt eine wichtige Rolle“

Im CIP beschäftigen wir uns mit psychischen Leiden von Menschen mit Conterganschädigung in einem Themenschwerpunkt. Hier sprechen wir mit der Ärztin und Therapeutin Celina von Tiele-Winckler über das Angebot des Medizinischen Kompetenzzentrums an der Universitätsklinik Köln.

 

Frau von Tiele-Winckler, der Conterganskandal ereignete sich lange vor Ihrer Geburt. Wie kamen Sie beruflich mit dem Thema in Berührung?

Gleich zu Beginn meiner Arbeit in der Psychosomatik der Uniklinik habe ich mich dazu entschlossen, in der Contergansprechstunde unter der Leitung von Oberarzt Dr. Niecke mitzuarbeiten. Da meine Mutter mir früher häufiger Geschichten von einem Klassenkameraden mit Conterganschädigung erzählt hatte, war mir die Thematik bereits bekannt. Es gibt zudem einen persönlichen, familiengeschichtlichen Bezug durch meine Urgroßtante Eva. Als Diakonisse hatte sie sich damals schon für Menschen mit Behinderung eingesetzt und einen Friedenshort gegründet.

 

In den Kompetenzzentren spielt die Expertise für Conterganschädigungen und deren Folgeschäden eine entscheidende Rolle. Inwiefern ist dieses Vorwissen auch für die psychotherapeutische Arbeit wichtig?

Ein gewisses Vorwissen spielt innerhalb der psychotherapeutischen Arbeit definitiv eine wichtige Rolle. Allein schon, weil eine Therapie immer biografische Aspekte beinhaltet und das Thema Contergan mit den Leben der Betroffenen eng verwoben ist. Auf der Seite von uns Behandelnden hilft Contergan-spezifisches Fachwissen also dabei, vulnerable Bereiche nicht zu übersehen, ein vertieftes Verständnis zu entwickeln und vielleicht auch manchmal dabei, die richtigen Fragen zu stellen. Für die Contergan-Betroffenen ist es wiederum sehr hilfreich, sich selbst und die Umstände nicht immer wieder von vorne erklären zu müssen und sich dadurch gesehen und besser angenommen zu fühlen.   

 

In welchen Bereichen macht sich das besonders bemerkbar?

Da geht es etwa um besondere Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung, etwa mit der Situation umzugehen, auf Assistenz angewiesen zu sein. Es betrifft in der Folge dann spezifische Themen wie den Umgang mit der eigenen körperlichen Einschränkung im eigenen Leben, als auch den Bereich Akzeptanz der eigenen Behinderung. Ebenso muss man berücksichtigen, dass die Patientinnen und Patienten häufig Narben einer Traumatisierung durch Stigmatisierung oder Ausgrenzung mit sich tragen, welche dann wiederum in einem lebensgeschichtlichen Zusammenhang bearbeitet und verstanden werden können.

Hinzu kommt natürlich noch ein weiteres wichtiges Thema, nämlich der Umgang mit chronischen Schmerzen, welche in der Regel über das gesamte Leben hinweg bestehen und sich durch Folgeschäden im Alter meist verschlimmern.

 

Kann man sagen, dass die Kombination aus Älterwerden, der Behinderung und der Schmerzen psychische Leiden besonders begünstigt?

Ja, das kann man. Gesundheit ist ein dynamischer Prozess, auf den einzelne Faktoren zum einen als Schutz und zum anderen als Risiko einwirken. Im Sinne des bio-psycho-sozialen Modells entstehen psychische Erkrankungen durch komplexe Wechselwirkungen von biologischen, psychischen und sozialen Gegebenheiten.

 

Bildet innerhalb der Gruppe von Menschen mit angeborenen Schädigungen die Klientel der Contergangeschädigten eine besondere?

Man muss schon rein medizinisch unterscheiden: Die Conterganschädigung ereignete sich im Mutterleib, ausgelöst durch eine von außen zugeführte Substanz. Anders als im Vergleich zu beispielsweise genetisch vererbten, angeborenen Behinderungen. Hinzu kommt noch, dass schwangere Frauen unwissend gegenüber den dramatischen Folgen das Medikament damals eingenommen haben.

Der gesamte Conterganskandal ist in politisch-gesellschaftlichem Zusammenhang sowie medizinhistorisch als sehr bedeutsam anzusehen. Ebenso geht es dabei auch um Themen wie Schuld und Gerechtigkeit. So bildeten die Contergan-Betroffenen bzw. deren Familien beispielsweise die Speerspitze der frühen Behindertenbewegung. Und: die Menschen mit Conterganschädigung sind tatsächlich eine Gruppe, eine relativ einmalige Kohorte von Menschen im etwa gleichen Alter, die gemeinsam älter geworden sind, so dass hier auch Themen wie das Älter werden an sich eine wichtige Rolle spielen.

 

Können Sie uns einen Einblick in die konkrete Arbeit geben: Welche Therapieansätze und -möglichkeiten bieten Sie an?

Unser Therapieansatz basiert auf wissenschaftlich fundierten, von den Krankenkassen anerkannten Verfahren und folgt einer psychodynamischen Grundorientierung. Das heißt: Ganz konkret umfasst die Psychotherapie unter anderem biografisches Arbeiten sowie den Blick auf die aktuelle Lebenssituation, auf Beziehungskonflikte und das Bearbeiten stattgefundener Traumatisierungen.

In unserer Ambulanz kann es aber auch zunächst nur um ein erstes therapeutisches Kontaktangebot mit unvoreingenommener Haltung des Therapeuten oder der Therapeutin gehen. Er oder sie kann dann dazu verhelfen, einen selbstreflexiven Prozess zu unterstützen und im Verlauf auch zu begleiten.

 

Der erste Schritt führt aber über die Ambulanz?

In der Regel, ja. Unsere Ambulanz bietet im Rahmen der Contergansprechstunde zunächst ein niederschwelliges Beratungsangebot, wenn jemand zum Beispiel mit Ängsten oder depressiven Gefühlen zu kämpfen hat oder im Alltag nicht mehr gut zurechtkommt. Im Rahmen einer stationären Behandlung findet dies in intensiver Form und in Kombination mit weiteren Spezialtherapien statt.

 

Welche wären das beispielsweise?

Auf unserer Station gibt es neben psychotherapeutischen Einzelgesprächen und Gruppen unter anderem auch die Kunst-, Musik- sowie die konzentrative Bewegungstherapie.

 

Wann entschließt man sich bei Ihnen zu einer stationären Aufnahme?

Eine stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung empfehlen wir, wenn das Ausmaß der seelischen Not so groß ist, dass einzelne wöchentliche Gespräche im Rahmen einer ambulanten Psychotherapie nicht mehr ausreichen. Gründe hierfür können beispielsweise eine akute Lebenskrise mit hoher Symptombelastung oder auch eine fehlende Zugangsmöglichkeit zu ambulanter Behandlung sein.

Eine besondere Eignung für eine stationäre Psychotherapie in unserer Klinik besteht bei Menschen in akuten psychischen Lebenskrisen. Also für Menschen, die sich mit sich selber, ihrer Biografie, ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und ihren Lebensaufgaben in einem intensiven psychotherapeutischen Prozess mit Hilfe eines hochqualifizierten, engagierten und neugierigen Teams auseinandersetzen wollen, um dadurch psychische Symptome zu reduzieren. Eine enge strukturelle Verzahnung besteht darüber hinaus mit den somatischen – also den körperbasierten – Disziplinen der Uniklinik Köln.

 

Mit welchen Zeitspannen ist zu rechnen – vom Erstgespräch bis zum Ende der Therapie?

Die zeitliche Dauer und die Intensität der Behandlung ist ganz individuell und hängen mit dem Ausmaß des seelischen Leids der betroffenen Person zusammen. Im ambulanten Rahmen kann dies beispielsweise ein einmaliges diagnostisch-beratendes Gespräch sein oder aber es kommt unter Umständen zu einem mehrjährigen begleitend-unterstützenden psychotherapeutischen Prozess. Im stationären Rahmen bieten wir eine psychosomatisch-psychotherapeutische Komplexbehandlung an, mit einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von acht bis zwölf Wochen.

 

Abschließend: Konnten Sie bereits Betroffenen helfen und ihre seelischen Leiden mittels Therapie mindern?

Ich habe bereits mit mehreren contergangeschädigten Patientinnen und Patienten zusammengearbeitet und sie aus psychischen Krisen hinausbegleiten können. Es freut mich immer wieder zu sehen, wie seelische Entwicklung durch Psychotherapie gefördert werden kann.

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