Das Bild zeigt Prof. Dr. Broich

„Der Fall Contergan mahnt uns, stets wachsam zu bleiben“

Der Conterganskandal war in den 1960er Jahren ausschlaggebend für neue Gesetzgebungen im Bereich der Arzneimittelzulassung. Neue Behörden, Bundesämter und Zuständigkeiten entstanden. Seit 1994 gibt es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Im Gespräch mit dessen Präsidenten Prof. Dr. Karl Broich blicken wir zurück. 

 

Herr Prof. Dr. Broich, im November dieses Jahres jährt sich die Marktrücknahme des Mittels Contergan zum 60. Mal. Hat das Thema heute noch eine Relevanz für Ihre Behörde?  

Wohl kaum ein anderes Arzneimittel hat die Arzneimittelsicherheit in Deutschland so geprägt wie Contergan. Es steht sinnbildlich auch heute noch dafür, dass Nutzen und Risiken sorgfältig überprüft und abgewogen werden müssen, bevor ein Arzneimittel auf den Markt kommt. Und ganz genau das ist eine der Kernaufgaben des BfArM. Unser zentraler Auftrag ist der Patientenschutz: Unsere Fachleute prüfen innerhalb des Zulassungsverfahrens den gesundheitlichen Nutzen eines Arzneimittels, also die Wirksamkeit, die Unbedenklichkeit und die pharmazeutische Qualität – und darüber hinaus über den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels dessen Sicherheit zur Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses.  

 

Inwieweit war der Conterganskandal Ausgangspunkt und Initialzündung für die Arbeit Ihrer Behörde?

Das BfArM selbst gibt es erst seit 1994. Wir müssen den Blick daher zeitlich etwas weiter zurückwerfen: Der Fall Contergan war ausschlaggebend dafür, dass das Arzneimittelrecht grundlegend reformiert wurde. Ziel war es, die Arzneimittelsicherheit umfassend zu verbessern. Das neue Arzneimittelgesetz, das 1978 in Kraft trat, führte insbesondere ein Zulassungssystem ein, das strenge Anforderungen an den Nachweis von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln stellt. Damit gab es erstmals ein bundeseinheitliches Verfahren zur Medikamentenkontrolle.Vor diesem Hintergrund entstand 1975 auch das Institut für Arzneimittel als Teil des Bundesgesundheitsamtes. Im Jahr 1994 wurde das Bundesgesundheitsamt aufgelöst. Daraus gingen eigenständige Einrichtungen hervor – unter anderem das BfArM, das die Aufgaben des Instituts für Arzneimittel übernahm, oder auch das Robert-Koch-Institut.

 

Wenn ein Unternehmen ein neues Medikament auf den Markt bringen will, welche Hürden muss es heute nehmen?

Wenn ein pharmazeutisches Unternehmen ein Arzneimittel auf den Markt bringen will, muss es in mehreren Phasen klinischer Prüfungen nachweisen, wie das Mittel wirkt und dass es ungefährlich ist. Außerdem gelten heute besondere Schutzvorschriften für klinische Arzneimittelstudien und auch die Haftung der pharmazeutischen Unternehmen wurde verschärft. Vor der Anwendung am Menschen werden umfangreiche präklinische Untersuchungen, insbesondere zur Toxikologie, gefordert.

 

Und wie stellte sich die Situation vor 60 Jahren dar?

Der Fall Contergan hat deutlich gezeigt, dass die damaligen Regelungen zur Arzneimittelsicherheit nicht ausreichend waren. So war seinerzeit lediglich eine Registrierung der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel erforderlich. Erst das 1978 in Kraft getretene Arzneimittelgesetz sah eine besondere Zulassung für Arzneimittel mit Nachweisen zur Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit vor.


Können wir aus Ihrer Sicht heute noch etwas aus den damaligen Fehlern lernen? 

Zum einen ist es wichtig, dass wir bereits wertvolle Lehren aus den Entwicklungen um Contergan gezogen haben, die im Arzneimittelgesetz verankert wurden. Zum anderen mahnt uns der Fall Contergan, stets wachsam zu bleiben. Daher endet die Überwachung von Arzneimittelrisiken für uns auch nicht mit der Zulassung. Die Kenntnisse über die Sicherheit von Arzneimitteln können zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Zulassung nicht vollständig sein. Daher sammeln wir auch darüber hinaus Erfahrungen aus der Anwendung und werten sie systematisch aus. Ziel ist es, Arzneimittel lückenlos zu überwachen, Risiken frühzeitig zu erkennen, um rechtzeitig notwendige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr treffen zu können.     
 

 

Foto: BfArM