Das Bild zeigt Nähgarn in verschiedenen Farben

„Der Modemarkt entdeckt Menschen mit Behinderung als Zielgruppe“

Diversität und Inklusion sind in aller Munde. Doch gibt es immer noch viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, in denen weder divers noch inklusiv gehandelt wird und die Belange von Menschen mit Behinderung nicht mitbedacht werden. So ist es im Grunde auch immer noch in der Modewelt. Doch langsam tut sich was. Wir haben uns auf die Suche gemacht und uns Unternehmen angeschaut, die sich der „Mode ohne Barrieren“ widmen.

Die preiswerte Herstellung von Kleidung ist nur möglich, wenn Massenware produziert wird. Und da beginnt das Problem: Der Kauf passender Kleidung kann schon für Menschen ohne körperliche Einschränkungen nervenaufreibend und frustrierend sein. Denn jeder Körper ist anders, wer entspricht schon der gesetzten Norm? Für Menschen mit Behinderung oder Conterganschädigung gilt das erst recht. Man denke an das Fehlen von Gliedmaßen oder an das dauerhafte Sitzen im Rollstuhl. Barrierefreie Kleidung von der Stange ist nach wie vor Mangelware.

 

Große Labels versuchen sich

Das erstaunt: Große Unternehmen haben das Thema offensichtlich erkannt und reagieren zunächst mit Einzelprodukten. Ausgehend von eigenen familiären Erfahrungen will beispielsweise der Designer Tommy Hilfiger mit seiner Kollektion „Tommy Adaptive“ den täglichen Herausforderungen Betroffener gerecht werden. Die Stücke der Kollektion setzen auf magnetische Verschlüsse, erweiterte Hosenbünde und Stretch-Materialien, die verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Ziel soll ein lösungsorientiertes Design mit dem üblichen Anspruch an Look und Modernität sein.

Sportwarenhersteller Nike hat einen ersten „freihändigen“ Sneaker entwickelt. Unter dem Namen „Go FlyEase“ wurde auf Schnürsenkel verzichtet. Der Schuh soll Bequemlichkeit bieten und schließt nach dem „Reinschlüpfen“ ganz automatisch.  

 

Mode exklusiv für Menschen mit Behinderung

Innovatives kommt auch von den Nachbarn aus Österreich. Das Unternehmen „MOB Industries“ (kurz für: Mode ohne Barrieren) geht auf Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Beeinträchtigungen ein: Von Menschen, die Prothesen haben, an altersbedingten Einschränkungen leiden bis hin zu solchen mit chronischen Erkrankungen. Man setzt dabei auf hochwertige Materialien und hat ein neues Verschluss-System entwickelt. So bietet MOB laut Eigenwerbung „funktionale Mode, die sowohl sitzend als auch stehend tragbar ist.“

Es sind oft kleine Versuchslabore und Start-ups, die etwas Neues versuchen. Da fehlen oft die klassischen Vertriebsstrukturen. Daraus resultiert, dass man bei der Kleidersuche eher im Internet fündig wird als beim Bekleidungsgeschäft um die Ecke. So hat sich das junge Start-up Unternehmen „Rolling Pants“ aus Hamburg laut eigener Aussage darauf spezialisiert, maßgeschneiderte, gleichsam bequeme und modische Beinkleider (eng. pants) für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer herzustellen. Menschen im Rollstuhl haben häufig das Problem, dass konventionell geschnittene Hosen und Oberteile im Sitzen rutschen. Daher sollten Hosen höher und Oberteile im Rücken länger sein.

Auf der Internetseite des Unternehmens hört sich das dann so an: „Die Hosen und Accessoires sind gemeinsam mit Rollstuhlfahrer/innen für Rollstuhlfahrer/innen entwickelt worden. Das Besondere daran: die Hosen stehen in Punkto Design und Fashion in nichts konventioneller Mode nach. Dies macht das Konzept so einzigartig in Europa: Multifunktionale und trotzdem stylische Fashion als Beitrag zur Inklusion der Rollstuhlfahrer/innen.“ 

Zusätzlich bietet das Hamburger Label Basics, Shirts und Schals, sowie auf die Bedürfnisse der Rollstuhlnutzenden zugeschnittene Gürtel, Rucksäcke und Handytaschen.

Sehbehinderte oder Blinde können Pflegehinweise oder den berühmten Waschzettel nicht lesen. Dafür hat Anna Sophia Flemmer aus Hannover mit ihrer Kollektion „SAME:SAME „eine Lösung entwickelt. Sie macht die Hinweise in Brailleschrift lesbar oder stanzt sie in Korketiketten. Farbe, Haptik und Struktur sind der Designerin wichtig. Und andere Probleme löst sie pragmatisch:  Ihre Pullover sind – analog zum Namen des Labels – beliebig wendbar. Vorder- oder Rückseite gibt es nicht mehr.

Beim Unternehmen „Auf Augenhöhe“ finden kleinwüchsige Menschen Ready-to-wear Mode, also Kleidung, die direkt passt und nicht mehr geändert werden muss. Das funktioniert über eine Größentabelle und eigene Konfektionsgrößen, die das Unternehmen entwickelt hat. Das Unternehmen: „Du packst das Paket aus, probierst es an und: alles passt direkt, wie angegossen“.

Es tut sich also etwas in Sachen inklusiver Mode, auch wenn noch vorrangig Nischenanbieter und ambitionierte Start-ups am Werk sind. Große Unternehmen bieten oft nur Einzelstücke an.  Es sind oft die kleinen Anbieter, die nach grundsätzlichen Lösungsansätzen suchen.

Eigentlich erstaunlich, dass nicht mehr Unternehmen die Zielgruppe von rund acht Millionen Menschen mit Behinderung (allein in Deutschland) ins Visier nehmen. Von denen sind immerhin 58 Prozent körperlich eingeschränkt – also ein großer Markt. Vielleicht kommt es ja bald dazu, dass sich nach dem Kleidungskauf der obligatorische Gang zur Änderungsschneiderei erübrigt.

 

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