Das Foto zeigt Helen Müller

„Die beste Entscheidung meines Lebens!“

Ein Portrait über eine beeindruckende Frau, die gerade ihre Rehabilitation in der Klinik Hoher Meißner in Bad Sooden-Allendorf beendet hat: Helen Müller, die heute in Freiburg lebt, kam 1962 in der Eifel mit einer Conterganschädigung zur Welt. Im April 2024 hat die heute 62-Jährige in München bei nur einer OP beidseits künstliche Hüftgelenke eingesetzt bekommen. Laut Dr. med. Volker Stück, Chefarzt des Fachbereichs Orthopädie der Klinik Hoher Meißner, „einmalig in Deutschland, wenn nicht sogar in ganz Europa“. Der Vorstand der Conterganstiftung freut sich, dass das Konzept der multidisziplinären medizinischen Kompetenzzentren, Betroffene bedarfsgerecht medizinisch zu versorgen, aufgeht.

 

Angeborener Hüftschaden durch Contergan

Nicht einmal vier Wochen liegt die Hüft-OP zum Zeitpunkt dieses Beitrags zurück. Helen Müller springt förmlich von ihrem Stuhl hoch und kommt in das Büro von Dr. Stück gelaufen. Wenn man bedenkt, dass sie vor wenigen Wochen noch auf einem OP-Tisch in München lag und beidseits künstliche Hüften bekommen hat – eine wirklich beachtliche Leistung.

Helen Müller ist durch das Medikament Contergan ohne Arme und bereits mit angeborenem Hüftschaden auf die Welt gekommen. Zwischen den späten 1950er und frühen 1960er Jahren sind Tausende Kinder mit Organschädigungen oder Missbildungen meist an den Armen zur Welt gekommen – eine Nebenwirkung des damals verbreiteten Schlafmittels Contergan, das die werdenden Mütter während der Schwangerschaft eingenommen hatten. Erst nach und nach wurde der fatale Zusammenhang deutlich, das Skandal-Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid Ende 1961 vom Markt genommen – zu spät für Helen Müller.

Jedwede Alltagskompetenz hat Helen Müller ihr Leben lang mit Hilfe ihrer Füße erlangt. Von der einfachen Unterschrift bis hin zur Körperpflege – alles hat sie mit ihren Füßen erledigt.

Orthopädische Einschränkungen und Schmerzen plagten sie seit Jahren, wie sie auch im CIP-Interview vor zwei Jahren berichtet. Doch jetzt ging es nicht mehr anders: Aufgrund der hohen und für den Körper ungewöhnlichen Belastung mussten bei ihr beide Hüftgelenke durch künstliche Gelenke ersetzt werden. Eines war ihr aber schon vor der Operation klar: Die Rehabilitation wollte sie auf jeden Fall in ihrer Wunschklinik in Bad Sooden-Allendorf (Werra-Meißner-Kreis) machen. Nach zwei vorangegangenen Reha-Aufenthalten in Nordhessen war sie von der exzellenten Arbeit der Therapeuten, der Ärzteschaft sowie der Pflegekräfte und der guten Rundumversorgung in der zur Wicker-Gruppe gehörenden Klinik Hoher Meißner überzeugt.

 

Beide Hüften in einer Operation erneuert

Nach mehreren Terminen mit potenziellen Operateuren traf Helen Müller die Entscheidung, beide Hüften in einer einzigen Operation erneuern zu lassen – trotz der von Chefarzt Dr. Stück geäußerten Bedenken. In dem Bewusstsein, dass die OP so oder so ein harter Einschnitt in Sachen Selbstständigkeit sein würde, war sie fest davon überzeugt, nach einem einzigen Eingriff schneller wieder in ihren Alltag zurück zu finden. April 2024 war es so weit: Helen Müller wurde in München von dem Orthopäden Dr. Christoph Buchhold operiert. Unter Berücksichtigung der Verringerung der Luxationsgefahr (dem Ausrenken des künstlich ersetzten Hüftgelenkes) erfolgte eine individuelle Auswahl der Prothesen. Nur einen Tag nach ihrer OP konnte Helen Müller bereits aufstehen und einige Schritte bewältigen – mithilfe eines Gehwagens. Eine Woche später startete bereits die Reha in der Klinik Hoher Meißner.

Die speziell auf die Einschränkungen von Menschen mit Conterganschädigung ausgelegten Zimmer mit höhenverstellbaren Tischen, Betten und Schränken und die angepassten Badezimmer mit Ganzkörperfön, höhenverstellbaren Waschbecken und Dusch-WCs waren ihr bereits durch die vorherigen Aufenthalte bekannt: „Dadurch hatte ich mehr Selbstständigkeit - von Anfang an“, sagt sie über die Klinik, die seit 2020 als multidisziplinäres medizinisches Kompetenzzentrum für die Behandlung von Menschen mit Conterganschädigung von der Conterganstiftung finanziell gefördert wird. Ein spezielles Gehhilfsmittel wurde umgehend durch das hausintern tätige Sanitätshaus zur Verfügung gestellt, ebenso spezielle Hilfsmittel zur Körperpflege.

 

Durch OP mehr Autonomie erreicht

Durch die Einschränkungen nach der Operation benötigte die Patientin anfangs noch bei vielem Hilfe. Selbst vermeintlich banale Dinge, etwa das Hochziehen der Bettdecke, klappten direkt nach der OP noch nicht selbständig. Mittlerweile, nach fünf Wochen in der Reha, kann Helen Müller weitere Strecken laufen als zuvor, kann Treppen steigen, was vorher nur bedingt möglich war, und hat deutlich weniger Schmerzen. Diese sind, so Dr. Volker Stück, bis zum Ende des Reha-Aufenthaltes noch deutlich weiter zurückgegangen. Auch die Conterganstiftung zeigt sich hocherfreut. „Das Konzept hochspezialisierter Zentren für eine bestmögliche Versorgung geht auf. Längere Anfahrtswege werden durch die überragende Qualität der Behandlungen wett gemacht“, so der Vorstandsvorsitzende der Conterganstiftung Dieter Hackler.

Ein hoher Grad an Autonomie trotz Handicap, das war Helen Müller in ihrem Leben schon immer wichtig. Die gelernte Erzieherin hat bis zu ihrem 50. Lebensjahr im Heimbereich gearbeitet und ihren Alltag mithilfe von drei fest angestellten Alltagshelfern weitgehend eigenständig bewältigt. Um ihre Eigenständigkeit zu erhalten, ist sie oft schwimmen gegangen, hat Muskelaufbau-Training durchgeführt und zuletzt die Biokinematik für sich entdeckt. „Ich habe das alles unter Schmerzen getan, aber ich habe stets weitergemacht!“, sagt sie im Rückblick mit einem gewissen Stolz.

Und das völlig zu Recht. Es ist der starke Wille und der mit nüchternem Realismus gepaarte Optimismus von Helen Müller, die herausragende Arbeit der erfahrenen Therapeutinnen und Therapeuten, der Ärztinnen und Ärzte, der Pflegekräfte und aller anderen Mitarbeitenden der Klinik Hoher Meißner, die tagtäglich dafür sorgen, dass solche Patienten-Erfolgsgeschichten wieder und wieder neu geschrieben werden können.

 

Weitere Informationen:

Die Klinik Hoher Meißner in Bad Sooden-Allendorf ist eine Rehabilitations-Klinik der Wicker-Gruppe mit etwa 250 Betten und hat die Schwerpunkte Neurologie und Orthopädie. Im Jahr 2013 wurde im Fachbereich Orthopädie ein Schwerpunkt auf die Rehabilitation von Menschen mit Conterganschädigung gelegt. Seit 2020 ist die Klinik Hoher Meißner ein multidisziplinäres medizinisches Kompetenzzentrum für Menschen mit Conterganschädigung und damit Teil eines bundesweiten Versorgungsnetzwerkes. Der Aufbau der insgesamt zehn Zentren erfolgt durch die bundeseigene Conterganstiftung in Köln. Die Stiftung fördert die Einrichtungen mit einer Summe von bis zu 3,5 Millionen Euro jährlich.

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