Gernot Lentzen, Oberarzt und Ambulanzleiter an der Universitätsklinik Köln

„Es wird vermutlich einen wachsenden Bedarf an psychotherapeutischer Unterstützung geben“

Mit psychischen Leiden von Menschen mit Conterganschädigung beschäftigt sich das CIP in einem Themenschwerpunkt. Hier gibt Oberarzt Gernot Lentzen einen Einblick in das Angebot des Medizinischen Kompetenzzentrums an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universitätsklinik Köln.

 

Herr Lentzen, angenommen, ich habe seelische Leiden und möchte als Mensch mit Conterganschädigung Ihr Angebot annehmen. Welche Schritte muss ich gehen?

Allgemein gilt für jeden Patienten und jede Patientin das gleiche Prozedere: Man vereinbart einen ersten Termin in unserer Ambulanz. Hierfür wird eine Überweisung durch den Hausarzt oder die Hausärztin bzw. Facharzt oder Fachärztin benötigt. Das gilt für alle, also auch für Menschen mit Conterganschädigung.

 

Sind die Behandlungen ambulant möglich?

In erster Linie bieten wir in unserer Ambulanz eine ausführliche psychosomatische Diagnostik an. Hierbei klären wir zunächst, welche weiteren Behandlungsschritte die betroffene Person benötigt. Im Falle einer stationären Behandlung können wir dies auf unserer Station anbieten. Ambulante Behandlungen können wir in den meisten Fällen zwar nicht anbieten, versuchen hier aber die Betroffenen bei der Suche nach einem ambulanten Therapieplatz zu unterstützen.

Allerdings: Für Contergan-Betroffene können wir bisher in den meisten Fällen auch längerfristig eine ambulante psychotherapeutische Unterstützung anbieten.

 

Wie lang sind die Wartezeiten?

Der Bedarf ist sehr groß, die Wartezeiten schwanken oft. Aktuell liegen wir bei zwei bis sechs Wochen. Natürlich gibt es auch Fälle, wo jemand ganz dringend einen Termin braucht, dann versuchen wir zeitnah einen Termin zu realisieren, was meistens auch gelingt.

 

Welche Barrieren oder Hemmschwellen gibt es?

Im Grunde ist alles sehr niederschwellig, eine Überweisung reicht aus. Privatversicherte haben es insofern etwas leichter, sie können direkt auch ohne Überweisung einen Termin vereinbaren.

Was physische Barrieren betrifft, ist der Zugang zu uns völlig barrierefrei und auch mit dem Rollstuhl kein Problem. Wir haben zudem ausreichende Sanitäreinrichtungen für Menschen mit Einschränkungen.

 

Was erwartet mich, wenn ich als Patient oder Patientin bei Ihnen bin?

Das Erste, was wir machen, ist eine ausführliche Diagnostik im Rahmen eines ersten Gespräches, was meist etwa 50 Minuten dauert. Vor dem Gespräch füllen Patienten und Patientinnen noch einen kleinen Fragebogen zum aktuellen psychischen Befinden aus. Im Kennenlerngespräch schauen wir dann, an welchem Punkt die Person steht: Um welche Schwierigkeiten und Sorgen geht es? Was ist die psychische Symptomatik? Welche körperlichen Beschwerden gibt es? Welche sozialen Schwierigkeiten bestehen, und gibt es zusätzliche Belastungsfaktoren von außen?

Hierbei versuchen wir soweit als möglich, alle relevanten allgemeinen, sozialen und biografischen Faktoren mit einzubeziehen.

 

Und wie kann es von da aus weitergehen?

Teilweise reicht ein Termin aus, um die weiteren Behandlungsschritte festzulegen. Öfter vereinbaren wir jedoch weitere Termine, um die Diagnostik zu vertiefen. Hierbei komme ich dann als Oberarzt dann hinzu. Wichtig ist: Erst wenn die Diagnostik abgeschlossen ist, treffen wir eine Entscheidung für den weiteren Behandlungsverlauf.

In vielen Fällen empfehlen wir eine ambulante Psychotherapie. Diese können wir als Uniklinik – wie schon beschrieben – leider in den meisten Fällen nicht anbieten. Bei von Contergan betroffenen Patientinnen und Patienten geht das allerdings in den meisten Fällen schon. Daher bieten wir dies aktuell auch für einige Betroffene an.

 

Eine andere Option ist eine stationäre Aufnahme?

Wenn wir im Rahmen der Untersuchung in unserer Ambulanz gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten zu der Entscheidung kommen, dass eine vollstationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung notwendig ist, bieten wir den Betroffenen entweder eine Aufnahme auf unserer Station an oder unterstützen sie dabei, in einer anderen Klinik einen Behandlungsplatz zu finden.

Eine typische Behandlungsdauer auf unserer Station liegt bei zwei bis drei Monaten. In der Regel haben wir 18 bis 20 Patienten und Patientinnen auf unserer Station.

 

Die Psychosomatik legt den Fokus auf den Zusammenhang zwischen den seelischen und körperlichen Leiden: Warum ist dieser Ansatz gerade für die Menschen mit Conterganschädigung erfolgversprechend?

Der psychosomatische Behandlungsansatz geht einerseits davon aus, dass psychische Faktoren zu körperlichen Symptomen führen oder diese verstärken können. Andererseits können wiederum körperliche Symptome das Auftreten von psychischen Problemen begünstigen. Gerade körperliche Einschränkungen aufgrund einer Conterganschädigung können die Entstehung von psychischen Problemen begünstigen.

In der Psychosomatik behandeln wir insbesondere Menschen mit Depressionen, Ängsten oder  Zwängen. Menschen mit psychischen Problemen werden sowohl in der Psychosomatik als auch in der Psychiatrie behandelt. Erkrankungen, die typischerweise in der Psychiatrie behandelt werden, sind etwa Schizophrenie, Demenz oder Suchterkrankungen. Auch Menschen mit schweren Depressionen und akuten Suizidgedanken werden meist in der Psychiatrie behandelt.

In unserer Klinik behandeln wir darüber hinaus auch viele Menschen mit Essstörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder somatoformen Störungen.

 

Somatoforme Störungen?

Das sind Erkrankungen mit körperlichen Symptomen, für die es keine eindeutig körperliche Erklärung gibt und sich gleichzeitig deutliche Hinweise zeigen, dass psychische Faktoren bei der Entstehung der Symptomatik eine wichtige Rolle spielen. Ein einfaches Beispiel für eine psychosomatische Erkrankungen wäre eine Stressbelastung, welche die Schlafstörungen verursacht.

 

Ganz pragmatisch: Wie läuft die Abrechnung über die Krankenkassen?

Wir als Institutsambulanz rechnen quartalsweise mit den Krankenkassen ab. Dieses Modell nutzen wir auch aktuell bei den Contergan-Betroffenen. Perspektivisch wollen wir aber prüfen, welche anderen Finanzierungsmöglichkeiten es vielleicht gibt, um unser Angebot noch weiter ausbauen zu können.

 

Rechnen Sie in Zukunft mit wachsendem Zulauf von Menschen mit Conterganschädigung?

Ich denke, allein aufgrund der spezifischen Altersstruktur der Contergan- Betroffenen gibt es sicherlich in den nächsten Jahrzehnten einen erhöhten Bedarf an therapeutischer Unterstützung. In unserer Klinik versuchen wir gerade, dafür die Möglichkeiten zu schaffen.

 

Was ist Ihrerseits noch zu tun?

Unser ambulantes Behandlungsangebot soll ausgebaut werden. Gleichzeitig wollen wir die Möglichkeiten zur stationären Versorgung von Menschen mit körperlichen Einschränkungen verbessern. Aktuell haben wir gerade mit der stationären Behandlung eines Contergan-Betroffenen begonnen, der großen Assistenzbedarf hat. Dabei werden wir selbst noch viele Erfahrungen sammeln.

 

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