„So wird eine Teilhabe am öffentlichen Leben verwehrt.“

Liebe Leserinnen,
liebe Leser,

als der Bundestag im August 2006 das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ verabschiedete, hatte er Großes im Sinn. Paragraph 1 greift entsprechend hoch: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“

Interessant wird dieser Anspruch, wenn man ihn sich für die einzelnen Betroffenengruppen genauer anschaut.  Zum Beispiel für die Gruppe der Menschen mit Behinderung. Behinderung ist nämlich keine Krankheit, sondern ein Umstand, der die gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe von Menschen nachhaltig beinträchtig oder verhindert. Wer Gleichbehandlung will, muss entsprechende „Umstände“ also bekämpfen bzw. verhindern.

Wenn man das Interview mit dem Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im CIP liest, stellt sich allerdings Ernüchterung ein. Ein Ansatz, wie oben beschrieben, ist hier nicht zu erkennen. Die Enttäuschung ist umso größer ­als – auf die Corona-Situation und die damit verbundene Maskenpflicht bezogen – die Webseite der Antidiskriminierungsstelle Menschen mit Behinderung eine Sonderrolle einräumt: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt in solchen Situationen aber nur Menschen, die wegen einer Behinderung keinen oder nur einen bestimmten Mund-Nasen-Schutz tragen können. Bei anderen betroffenen Personengruppen greift der Diskriminierungsschutz nicht.“

Im Interview und auf eine konkrete Situation bezogen, stellt sich dies allerdings anders dar. Pandemieschutz und Hausrecht haben nämlich Vorrang vor der Gleichbehandlung. Wer die Prämissen so setzt, hebelt systematisch das aus, was er eigentlich schützen will oder sollte. Unter diesen Bedingungen bleibt zum Beispiel vielen Menschen mit Conterganschädigung eine Teilhabe am öffentlichen Leben weitestgehend verwehrt. Politischer Anspruch und gelebte Wirklichkeit klaffen hier auseinander.

Die Conterganstiftung wird sich mit diesem Umstand nicht abfinden. Nach einer Diskussion im Vorstand haben wir uns entschlossen, an den Gesundheitsminister heranzutreten und uns (mit guten Argumenten) für Menschen mit Conterganschädigung für eine Ausnahmeregelung bei der Maskenpflicht einzusetzen.

Schöner wäre es, wenn die Realität so wäre, dass sie keiner Ausnahme bedürfen würde.

Wir halten Sie auf dem Laufenden.

Ihr

Dieter Hackler
Vorstandsvorsitzender der Conterganstiftung