Älteres Paar auf einer Parkbank neben Rollstuhl

Zehn Jahre Versechsfachung der Conterganrenten

Jahrzehntelang hatten sich die Renten für Menschen mit Conterganschädigung nicht signifikant erhöht. Er verwundert noch heute, dass weder der Stiftungsrat, noch der Vorstand, weder Politik noch Öffentlichkeit einen Handlungsbedarf gesehen hatten. Im Grunde gab es seit der ersten Auszahlung an die Opfer des Skandals von 1961 nur unzureichende Anpassungen der Renten.

Vor zehn Jahren kam es zur Versechsfachung der Conterganrenten und zur Bereitstellung von 30 Millionen Euro jährlich für spezifische Bedarfe der Betroffenen. Zuvor waren die Conterganrenten 2008 in einem ersten Schritt verdoppelt worden. In der Folge wurde die Conterganstiftung durch eine weitere Gesetzesänderung ausschließlich auf die Hilfe für Menschen mit Conterganschädigung konzentriert und neu aufgestellt. Es wurde ein neuer Stiftungsrat mit zwei direkt gewählten Betroffenenvertretungen und eine neue Geschäftsstelle des Vorstandes im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) eingerichtet.

Die Bundesmittel der Stiftung in Höhe von 50 Millionen Euro, deren Erträge bisher zur Finanzierung von Projekten der allgemeinen Behindertenarbeit dienten, wurden in Verbindung mit einer eingehandelten Zustiftung der Firma Grünenthal in Höhe von 50 Millionen Euro zu einem 100 Millionen Euro Vermögen zusammengeführt und mit sogenannten „Sonderzahlungen“ regelmäßig an die Betroffenen zusätzlich zu den Renten ausgeschüttet.

                       

Neue Verantwortlichkeiten

 

Durch einen Wechsel in der Leitung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gab es ab Herbst 2006 auch einen neuen Verantwortlichen für das Thema Contergan. In einem ersten Kontaktgespräch im Frühjahr 2007 übergab der Vorstand des Bundesverbandes contergangeschädigter Menschen dem neuen Abteilungsleiter einen Forderungskatalog, in dem u. a. die Versechsfachung der Renten gefordert wurde. Dieser sagte eine gewissenhafte Prüfung zu. In der Folge wurden die Hausleitung BMFSFJ, die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD und der Deutsche Bundestag mit dem Thema befasst, so dass die gesetzlichen Veränderungen in einem breiten Konsens auf den Weg gebracht werden konnten. Auch die neu aufgestellte Conterganstiftung wirkte unter dem Stiftungsratsvorsitzenden, der zugleich Abteilungsleiter im BMFSFJ war, mit der Vergabe der sogenannten Heidelberger Studie an diesen wesentlichen Veränderungsprozessen mit.

 

Eine Zeit für Veränderung

 

Die Menschen mit Conterganschädigung wurden in den Fokus gerückt. Ihre Bedarfe wurden wahrgenommen und dafür viele Gespräche direkt mit verschiedenen Verbänden und Betroffenen geführt. Es wurde festgestellt: Menschen mit Conterganschädigung litten nicht mehr nur unter den direkten Folgen der vorgeburtlichen Beeinträchtigungen, sondern hatten zunehmend auch mit Folgeschäden zu kämpfen. An ein altersgerechtes, bedarfsgemäßes Leben sei angesichts der gezahlten Abfindung und der geringen Renten nicht zu denken, so die Betroffenen. Daher forderte der Deutsche Bundestag die Conterganstiftung mit einem parteiübergreifenden Entschließungsantrag der damaligen Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP 2008 dazu auf, die besondere Lage und die Situation der Menschen mit Conterganschädigung genau zu evaluieren.

Im Juni 2010 vergab die Conterganstiftung daher nach langem Ringen im Stiftungsrat einstimmig einen Forschungsauftrag an das Institut für Gerontologie an der Uni Heidelberg unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Kruse. Zuvor war das Forschungsprojekt zur „Sicherstellung einer angemessenen und zukunftsorientierten Unterstützung der contergangeschädigten Menschen“ europaweit ausgeschrieben worden.

Begleitet wurde die Studie durch einen 15-köpfigen Forschungsbeirat, dessen Einberufung auf Initiative des Bundesverbands Contergangeschädigter e. V. zurückging. Dieser trat Ende 2009 erstmals zusammen und tagte zwölfmal. Dem Beirat gehörten Vertreterinnen und Vertreter des Bundesfamilienministeriums, des Arbeitsministeriums, des Bundesverbandes Contergangeschädigter e. V. sowie der Conterganstiftung an. In das Gremium wurden außerdem die Experten Professor Dr. Klaus-Dieter Thomann (Orthopädie), Professor Dr. Michael Häder (Empirische Datenerhebung) sowie Professor Dr. Christa Büker (Pflegewissenschaften) in den Beirat berufen. Dr. med. Roland Zeh (HNO) stellte zudem bei Bedarf seine Expertise zur Verfügung.

 

Studie weist Versorgungslücken nach

 

Nach knapp zwei Jahren, genauer am 31. Mai 2012, veröffentlichte die Conterganstiftung erste Zwischenergebnisse der Studie mit entsprechenden Handlungsempfehlungen auf ihrer Homepage. Bereits Ende Juni 2012 kam es zur Vorstellung der Zwischenergebnisse durch den Forschungsnehmer und den Vorstand der Conterganstiftung im Rahmen eines nicht öffentlichen Expertengesprächs im Familienausschuss des Deutschen Bundestages.

Der Endbericht, der kurz vor Weihnachten 2012 veröffentlicht wurde, deckte erschreckende Versorgungslücken auf und betonte die Dringlichkeit, „einer Neubewertung jener Versorgungs- und Unterstützungsleistungen…, die für die Erhaltung von Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Teilhabe und Lebensqualität dringend erforderlich sind.“

Am 1. Februar 2013 waren die Ergebnisse aus dem Forschungsbericht Thema einer Öffentlichen Anhörung des Familienausschusses im Deutschen Bundestag. Im Rahmen dessen wurden die Ergebnisse durch Prof. Dr. Andreas Kruse vorgestellt und es gab Befragungen der Betroffenenvertretungen sowie von Experten aus Politik, Justiz und Gesundheitswesen. Zahlreiche Menschen mit Conterganschädigung wohnten der Anhörung bei.

 

Bundestag beschließt Änderung des Conterganstiftungsgesetzes

 

Am 25. April 2013 fanden in der 237. Plenarsitzung des Deutschen Bundestages die zweite und dritte Lesung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes statt. Es wurde vom Deutschen Bundestag am 26. Juni 2013 einstimmig verabschiedet und trat am 1. August 2013 in Kraft. Die Rentenerhöhung erfolgte rückwirkend zum 1. Januar. Die Conterganrenten sind anrechnungsfrei, und die Vermögen naher Verwandter dürfen für die Berechnung von Sozialleistungen nicht herangezogen werden. Vier Jahre später wurde zur weiteren Entbürokratisierung der Antrag für spezifische Bedarfe gegen eine pauschale Abrechnungsweise eingetauscht.

„Der Vorstand begrüßt die deutliche Erhöhung der Rentenbeträge, die zu einer erheblichen finanziellen Verbesserung führt. Durch die neue Staffelung der Rentenstufen besteht nun eine größere Gerechtigkeit bei den Rentenhöhen“, kommentierte der damalige Stiftungsvorstand.

Das Forschungsprojekt auf Initiative der Conterganstiftung ging als „Heidelberger Studie“ in die Annalen ein. Dieter Hackler, aktueller Vorstand der Conterganstiftung und damals sowohl Abteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) als auch Stiftungsratsvorsitzender: „Die Studie wies erstmals nach, dass das Anliegen nach einer Verbesserung der Versorgung berechtigt ist und stellte es auf eine valide Grundlage. Damit konnte das Thema einer deutlichen Rentenerhöhung politisch erfolgreich umgesetzt werden.“

Die Forderung des Bundesverbandsvorstands nach einer Versechsfachung der Renten wurde damit nicht nur erfüllt, sondern verdoppelt umgesetzt und zusätzlich wurden die Mittel für spezifische Bedarfe in Höhe von 30 Millionen Euro jährlich zur Verfügung gestellt. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass der Gesetzgeber die Conterganrenten an die jährlichen Rentenerhöhungen anpasst, so dass die Renten seit 2008 regelmäßig steigen.

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